Zucker bis zum Hals

Im Nordosten gibt es derzeit viel mehr Rüben als geplant - die letzte verbliebene Verarbeitungsfabrik ist überlastet

  • Jürgen Drewes, Rostock
  • Lesedauer: 3 Min.
Berge von Zuckerrüben lagern noch an den Straßen in Mecklenburg-Vorpommern, die Landwirte wissen nicht, wohin damit. Die Zuckerfabrik Anklam will nun ihre Verarbeitungssaison verlängern.

Landauf, landab lagern in Mecklenburg-Vorpommern Berge von Zuckerrüben an den Straßenrändern. An der Autobahnauffahrt zur A 20 unweit von Rostock hat die Papendorfer Agrargenossenschaft mehr als 800 Tonnen Rüben aufgetürmt. «Alles Rüben, die wir über die Menge hinaus geerntet haben, die mit der Zuckerfabrik vereinbart war», sagt der amtierende Geschäftsführer Steven Hirschberg. «Ich weiß nicht, wohin damit.» Im ganzen Land gibt es derzeit für mehrere Hunderttausend Tonnen Rüben keine Verwendung. Die Anbauer haben in diesem Herbst eine Rekordernte eingefahren. Im Durchschnitt wurden rund 81 Tonnen je Hektar gerodet, das Mittel liegt bei etwa 60 Tonnen je Hektar.

Die Zuckerfabrik Anklam hat angeboten, 20 Prozent über die mit jedem Betrieb vereinbarte Liefermenge hinaus abzunehmen. «Unsere Maschinen laufen auf Hochtouren. Wir verarbeiten täglich 11 500 Tonnen Rüben. Mehr geht nicht», sagt Geschäftsführer Matthias Sauer. Das seit 2010 zum niederländischen Konzern Suiker Unie gehörende Werk ist der einzige verbliebene Rübenverarbeiter in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2008 die Nordzucker AG ihre Fabrik in Güstrow schließen ließ, werden auch aus dem westlichen Landesteil erhebliche Rübenmengen ins vorpommersche Anklam geliefert. Das nächste Verarbeitungszentrum liegt im niedersächsischen Uelzen.

Der Rübenanbauerverband im Land hatte seine 730 Mitgliedsbetriebe vorgewarnt. «Wir haben angesichts der zu erwartenden Rekordernte bereits im Spätsommer unseren Mitgliedsunternehmen geraten, nach alternativen Einsatzmöglichkeiten Ausschau zu halten, sagte Geschäftsführerin Antje Wulkow. »Nicht jede Rübe muss zu Zucker verarbeitet werden.« So wurden bislang 50 000 Tonnen Überschussrüben an Biogasanlagen geliefert.

Zuckerfabrik und Rübenanbauerverband ziehen zudem in Erwägung, zehn Prozent des diesjährigen Ertrags jedem Rübenanbauer bereits auf das Jahr 2015 gutzuschreiben. Dazu bedarf es allerdings der Zustimmung des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der EU. Das wiederum setzt voraus, dass die europäische Zuckermarktordnung, die bis 2017 gilt und Anbau und Vermarktung regelt, gelockert wird. »Wir haben ein extremes Jahr und das erfordert auch mal außergewöhnliche Entscheidungen«, meint der Geschäftsführer des Bauernverbandes für die Region Bad Doberan, Detlef Lindemann, und appelliert an die Politik einzulenken.

Die Fabrik Anklam will ihren Beitrag leisten. »Wir stellen uns bereits darauf ein, das für Mitte Januar geplante Kampagneende hinauszuzögern.« Ziel aller Beteiligten sei es, jede geerntete Rübe auch zu verarbeiten, sagt Geschäftsführer Sauer. Angesichts der sich abzeichnenden Rekordernte war bereits am 3. September in Anklam mit der Rübenverarbeitung begonnen worden - so früh wie nie zuvor in der über 130-jährigen Geschichte des Werks. Neben Zucker werden in Anklam Bioethanol und Biomethangas auf Basis von Zuckerrüben produziert. Landwirt Hirschberg hofft, seine Rüben noch loszuwerden. »Inzwischen ist es mir fast schon egal, zu welchem Preis«, sagt er. Für die vertraglich gebundenen Rübenlieferungen würden rund 131 Euro je Tonne gezahlt, für Überschussrüben sollen es nur etwa 15 Euro sein. »Egal, auch wenn das kaum die Produktionskosten decken wird. Sie am Ende unterpflügen zu müssen, wäre einfach verantwortungslos«, meint er.

Die Zuckerfabrik will voraussichtlich bis zum 8. Dezember Folien bereitstellen, mit denen die Bauern draußen lagernde Rüben abdecken können, um sie vor Frost und Regen zu schützen. Vor allem der Wechsel von Frost und Plusgraden bekommt den Rüben schlecht. dpa/nd

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