Vermummter Hass

Junge Sorben werden immer öfter beleidigt, bedroht und angegriffen

  • Michael Bartsch
  • Lesedauer: 6 Min.
Nach gezielten Attacken gegen sorbische Jugendliche ist die sächsische Polizei alarmiert. Doch ihr Einsatz alleine wird Bedrohung und Anfeindung nicht beseitigen.

Bernd Merbitz, Leiter des Operativen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus in Sachsen (OAZ), weiß zwar durchaus, wie er sich gegenüber Medienvertretern inszenieren muss. Der 58-Jährige war Major der DDR-Volkspolizei, wechselte nach der Wende von der SED zur CDU, avancierte zum Leiter der Polizeidirektion Westsachsen und gar zum Landespolizeipräsidenten. Aber am vergangenen Mittwoch, dem Buß- und Bettag, der in Sachsen noch Feiertag ist, wirkt seine Erregung echt. »Ich verstehe nicht, warum man wieder einen Keil zwischen Sorben und Deutsche treiben will«, braust er auf und fügt hinzu: »Die sollen sich warm anziehen!«

»Die«, das sind bislang noch nicht eindeutig identifizierte deutsche Jugendliche, die ihren sorbischen Altersgenossen in der Lausitz bei Diskotheken und Veranstaltungen auflauern, sie beschimpfen, bedrohen und teils tätlich angreifen. Vorfälle, die sich in diesem Herbst häufen. Deshalb ist Merbitz am Feiertag nach Bautzen in das Haus der Sorben gefahren, um Kollegen aus der Region, vor allem aber den jungen Domowina-Vorsitzenden David Statnik zu treffen. Denn das OAZ ist alarmiert und ermittelt.

Die jüngsten Vorfälle wurden Ende Oktober erstmals öffentlich bekannt, als die kleine sorbische Abendzeitung »Serbske Nowiny« sich ein Herz fasste und einen Leserbrief veröffentlichte. Darin schildert ein Augenzeuge, wie eine Gruppe vermummt auftretender Jugendlicher die Konfrontation regelrecht sucht. Bei der Disco des Sorbischen Gymnasiums Bautzen am 17. Oktober in Schönau seien zunächst sorbisch sprechende Jugendliche ausgespäht worden. Auf dem Heimweg lauerte ihnen eine Gruppe von etwa 15 Personen mit aufgesetzten Sturmhauben auf, beschimpfte sie als »Sorbenschweine« oder »Scheiß-Sorben«. Fliehende wurden bis an ihre Autos verfolgt, gegen die Scheiben geschlagen und an den Türen gerissen. Das MDR-Magazin »exakt« brachte später die stimmlich verfremdeten Aussagen von Betroffenen einer solchen Einschüchterungsaktion. Darunter auch ein junger Mann, der im September schon zusammengeschlagen wurde.

Die Übergriffe konzentrieren sich auf den Raum nördlich und östlich von Panschwitz-Kuckau. Genannt werden die Dörfer Crostwitz, Cunnewitz, Ralbitz, Dreikretscham oder Ostro. »Hier geht es nicht um Pöbeleien von zwei, drei Einzelnen, sondern um organisierte Kriminalität, die verhindert werden muss«, schreibt der Augenzeuge in den »Serbske Nowiny«. Von einer »neuen Dimension« spricht auch David Statnik als Vorsitzender des Domowina-Dachverbandes. Die organisierte Form des Auftretens der Bande mache ihm Angst.

»Man hat üblicherweise keine Sturmhaube in der Tasche, wenn man auf die Disco geht«, sorgt sich auch Heiko Kosel um die neue Qualität antisorbischer Ausfälle. An solche gezielte und geplante Aktionen kann sich der 48-jährige Sorbe nicht erinnern. Er stammt aus einem alten Sorbengeschlecht, einer seiner Vorfahren führte im Niedersorbischen einst die Reformation ein. Heiko Kosel saß seit 1999 bis zum Sommer dieses Jahres für die LINKE im Sächsischen Landtag. Der Historiker und Rechtsanwalt, der in der Lausitz und in Prag praktiziert, ordnet das neue Phänomen in die geschichtlichen und seine persönlichen Erfahrungen ein. Beschimpfungen der damals so genannten Wenden habe es schon im Mittelalter gegeben. Krass verfolgt wurde jegliches sorbische Brauchtum in der Nazizeit. Das Volk sollte zur Assimilation gezwungen werden, der Sprachgebrauch wurde verboten. Dennoch verbuchte hier zumindest in der Anfangszeit die NSDAP erstaunlich hohe Stimmenanteile.

Die DDR wiederum versuchte, sich mit einer Förderung der sorbischen Minderheit zu schmücken, blieb aber zugleich misstrauisch. Nicht vergessen werden darf auch, dass in dieser Zeit weitere sorbische Dörfer den Braukohletagebauen zum Opfer fielen. Ressentiments seitens der deutschen Mehrheit gab es auch damals. Die Volkspolizei bekam sie nicht in den Griff, und Kosel vertritt die These, deshalb seien auffallend viele Geistliche und Kirchenmitglieder der katholischen Sorben aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus zur Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit bereit gewesen.

Ganz ungeschminkt berichtet auch Alfons Rycer von seinen Jugenderinnerungen. Der Sorbe, der erst in der Schule Deutsch lernte, studierte Maschinenbau und ist heute Vorsitzender des Verwaltungsverbandes »Am Klosterwasser«, eines Zusammenschlusses von fünf Gemeinden um Panschwitz-Kuckau. Rangeleien und Schlägereien auf Tanzböden habe es auch in der DDR gegeben, oft ausgelöst durch Balzkämpfe um die Mädels. Mancher Gastwirt hielt für die sorbischen Jungs im Hof Zaunlatten bereit. »Die Angreifer kamen nur einmal«, schmunzelt er. Das sei zum Glück vorbei, aber was jetzt in neuer Form organisiert werde, sei überhaupt nicht zu dulden. Das gehe über Affekte hinaus.

Er selber habe Schmierereien an Wänden, Kruzifixen oder Grabstätten zwar auch als Angriff empfunden, erinnert sich Heiko Kosel. Im Spätsommer dieses Jahres häuften sie sich wieder. Aber er konnte darin noch keine Strategie, sondern nur Hass erkennen. »Das waren einfach Idioten«, dachte man damals.

Woher aber rühren die alten Vorbehalte und die neuen Auswüchse des Hasses gegen die Sorben? »Das bloße Anderssein genügt«, stellt Kosel lakonisch fest. »Die Gefahr besteht immer, wenn Volksgruppen aufeinanderstoßen«, hat sich der lebensklug wirkende Alfons Rycer an die Rolle in der Defensive gewöhnt. Das sitze nun einmal tief drin, der Mensch handele letztlich nicht rational. Das sehe man ja auch am Umgang mit Asylbewerbern. »Wobei in unserem Raum eigentlich die Deutschen den Migrationshintergrund aufweisen«, spielt er lachend auf die Siedlungsgeschichte an. Denn es waren um die Hälfte des ersten Jahrtausends die Slawen, die den Germanen nach der Völkerwanderung folgten, ehe sie selber unter die Herrschaft des ostfränkischen Reiches gerieten. Heinrich I. und Kaiser Otto I. unterwarfen sie blutig endgültig. Dresden beispielsweise geht auf die sorbische Siedlung Drjezdzany zurück.

Vielleicht spielt auch der Neid mit. Die Sorben gelten nicht nur als vital und feierfreudig. Der Gemeindeverband »Am Klosterwasser« weist eine Arbeitslosenquote von weniger als fünf Prozent und einen Wohnungsleerstand von weniger als drei Prozent auf. Was man ob der oft kolportierten Abwanderung der jungen Generation nicht glauben mag: Die Gemeinde Ralbitz-Rosenthal ist nach Altersdurchschnitt die jüngste in Sachsen. Und die Millionen der Stiftung für das sorbische Volk hätten andere Kultureinrichtungen auch gern.

Rycer spielt die aktuelle Eskalation nicht herunter, relativiert sie aber etwas. Er hat selber zwei Söhne im Alter von 15 und 19 Jahren, die bei den Tanzveranstaltungen dabei waren, aber nicht angegriffen wurden. Sie seien selbstbewusst und hätten noch keine Angst. Noch seien nur einzelne betroffen. Die Jugendlichen selber wollen anonym bleiben, sagen nichts mehr, seit sie von Anwälten wie Heiko Kosel oder von der Polizei ermuntert wurden, Anzeige zu erstatten. Es geht um Körperverletzung, Sachbeschädigung und um verfassungsfeindliche Symbole wie den Hitlergruß. Bürgerpolizist Uwe Mittag in Panschwitz-Kuckau ist auch noch »mit dem Sammeln von Erkenntnissen« befasst. In seiner Bürgersprechstunde hätten noch keine Jugendlichen Rat gesucht.

Den bietet das OAZ in Zusammenarbeit mit den Kommunen nun verstärkt an wie jüngst bei einer Zusammenkunft in Crostwitz, schützt sogar Disco-Abende. Chef Bernd Merbitz haut regelrecht auf den Tisch: »Wenn solche Einschüchterung beginnt und wir unternehmen nichts, haben wir schnell verloren!« Eine Grenze sei überschritten. Über die laufenden Ermittlungen sagt er verständlicherweise nichts, aber die Nähe zu rechtsextremen Kreisen scheint offensichtlich. Die MDR-Recherchen erbrachten Hinweise auf Personen, die auch bei Demonstrationen gegen das Bautzener Asylbewerberheim auftraten. Unter der Hand werden wiederholt auch die Security-Szene und ein Bautzener Boxsportverein als Täterkreise genannt.

Wäre die Polizei nicht erfolgreich, befürchtet Heiko Kosel, könnten sich Sorben ihrerseits zum Schutz organisieren. Selbstjustiz aber lehnt Domowina-Vorsitzender Statnik ab. Alfons Rycer vertraut der Polizei und anerkennt deren bisherigen Einsatz, auch wenn der Schutz aller Veranstaltungen trotz mobiler Einsatzkommandos allein schon logistisch eine große Herausforderung wäre. »Damit kann man aber nur Auswüchse unterdrücken - die Gesinnung ändert sich noch lange nicht«, sinniert er. David Statnik sieht ein »gesamtgesellschaftliches Problem«, das auch bei anderen Minderheiten in Europa Bestürzung auslöse.

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