nd-aktuell.de / 26.11.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 20

Bonuspunkte gegen Telefonsucht

Student entwickelt App für Menschen, denen Smartphones auf die Nerven gehen

Mathias Peer, Bangkok
Libern Lins Geschäftsmodell klingt paradox: eine Applikation für Menschen, denen Smartphones auf die Nerven gehen. Nutzer erhalten umso mehr Bonuspunkte, je länger sie ihr Telefon nicht antasten.

Wenn sich Libern Lin mit seinen Freunden trifft, stören die Smartphones fast immer. »Jeder ist abgelenkt«, sagt der 20 Jahre alte Student aus Singapur. »Nachrichten, Spiele - keiner von uns kann sich mehr richtig auf das Gespräch konzentrieren.« Sein Bekanntenkreis einigt sich bei gemeinsamen Abenden deshalb gelegentlich auf ein Handyverbot. Lin brachte das auf eine Geschäftsidee, die sich zunächst ein wenig paradox anhört: eine App für Menschen, denen Smartphones auf die Nerven gehen.

Das Handyprogramm, von dem der Informatikstudent bereits eine Testversion entwickelt hat, blockiert die Telefone sobald mehrere Nutzer ihre Geräte nebeneinander legen. Ein Bonussystem soll dazu motivieren, die Handys so lange wie möglich unangetastet zu lassen. Auf einem virtuellen Baum lässt die App, die passenderweise »Apple Tree« (Apfelbaum) heißt, nach und nach Bonuspunkte in Form von Äpfeln wachsen. Diese sollen, sobald das Programm offiziell an den Start geht, gegen Rabatte in Geschäften und Restaurants eingetauscht werden können.

Über die Werbung für die beteiligten Händler und Lokale will Lin mit der App Geld verdienen. »Mehrere Unternehmen haben bereits Interesse an einer Partnerschaft gezeigt«, sagt der Entwickler. Der Markt in Singapur bietet für die Idee prinzipiell gute Voraussetzungen. Der Stadtstaat hat laut einer kürzlich von Google veröffentlichten Studie mit 85 Prozent den weltweit höchsten Anteil an Smartphone-Nutzern in der Bevölkerung.

Allerdings dürfte es nicht gerade leicht werden, die gut vernetzten Singapurer von einer Online-Auszeit zu überzeugen. Wie eine vor wenigen Wochen veröffentlichte Umfrage ergab, haben sie im globalen Vergleich die stärkste emotionale Bindung ans Netz. 78 Prozent gaben an, sich schlecht zu fühlen, wenn sie ohne Internetzugang sind. Das ist nicht unproblematisch: Psychiater warnten im Sommer öffentlich vor einer zunehmenden Online-Sucht in der 5,4 Millionen Einwohner großen Metropole.

In seinem Kampf gegen die ausufernde mobile Internetnutzung bekommt Libern Lin Unterstützung: Zusammen mit zwei Freunden, die ihm bei der App-Entwicklung halfen, gewann er vergangene Woche für »Apple Tree« einen mit 30 000 Singapur-Dollar (18 600 Euro) dotierten IT-Preis. Der soll ihm dabei helfen, die Applikation bis März kommenden Jahres fertig zu stellen. Von dem Geld will sich der Smartphone-Skeptiker ausgerechnet neue Handys anschaffen: »Ich brauche noch ein paar Android-Geräte«, sagt er. »Zu Testzwecken natürlich.«