Win-Win, Bling-Bling!

Ein Rundgang in die Privatisierungsgeschichte

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Ambiente ist durchaus angemessen für eine Versteigerung dieser Größenordnung: Drei dem Kreuzberger Milieu entsprechend alternativ-schick gekleidete jüngere Männer empfangen schon am Eingang mit einem Lächeln und weisen jedem seinen Platz zu. Die zwischen Kottbusser Tor und Landwehrkanal gelegene Bar ist relativ neu. Aus den Lautsprechern dudelt dezent eine Big Band.

Ansprechend auch die Moderation der drei Männer, die auf Deutsch, Englisch und Türkisch durch die Veranstaltung führen, wobei aus Audioguides die Übersetzung kommt. Wie wahr: Das 21. Jahrhundert ist das der offenen Münder und Grenzen, für alles mögliche gibt es Flatrates, Freiheit durch und durch also - und dazu gehört auch, dass neue Viertel erobert werden wollen. Das steht vor allem hier an, ums Kottbusser Tor herum, das, so ist zu lernen, seit dem 18. Jahrhundert immer wieder Zerstörungen und Kämpfen ausgesetzt war. Doch der Wandel ist da, es herrscht Dienstleistungsatmosphäre - und vom Rednerpult ist Visionäres zu hören: Das »Kotti« eine Steuersonderzone! Private-Private-Partnerships sind die Zukunft, Win-Win-Bling-Bling-Situationen!

Dann der große Moment: Das Kottbusser Tor wird versteigert. Der Preis erreicht schwindelerregende Höhen - aber auch die Unterlegenen werden auf eine Kieztour eingeladen. Der Audioguide hält eine Menge Fakten und Gedanken bereit - erhellendes wie: Die Wohnungen des Häuserkomplexes der ehemals kommunalen GSW jubeln, denn nun sind sie endlich, was früher nur die in ihnen Wohnenden waren: privat.

Viel zu hören gibt es vom Ende der DDR. So eine Tagesschaumeldung vom 9. November 1989, als Innenminister Wolfgang Schäuble die ausreisewilligen Ostdeutschen auf den akuten Wohnungsmangel in der BRD hinwies. Aber was für eine Erfolgsgeschichte: 85 Prozent des Produktivvermögens der DDR gingen an westdeutsche Konzerne. Mit diesen und mit Geschichten zu Kreuzberg und seiner migrantischen Bevölkerung dirigiert uns der Audioguide über eine Stunde lang ums »Kotti« herum, treppauf und treppab. Der Ton wird immer wieder gebrochen, wohl um Lokalkolorit reinzubringen. Dann ist vor allem vom Krieg nach dem Kalten Krieg die Rede, von Kämpfen, radikalen Bewegungen, zwischenmenschlichen Beziehungen, Privat- und Kollektiveigentum - interessant.

Toll die Bevölkerung, die unfreiwillig Teil des Rundgangs ist. Riesengeschrei irgendwo in der U-Bahn; eine Frau, die Tüten auf einem Wagen vor sich herschiebt und im Vorbeigehen an einer Kleingruppe mit den Audioguides grummelt, sie habe die Yuppie-Invasion zum Kotzen satt; ein Auto, das mit quietschenden Reifen und ausbrechendem Heck startet.

Letztendlich ein sehr gelungener Spaziergang, der zeigt, wie aufregend, wie, ja, exotisch dieser Kiez ist - und doch wie sicher, und wie sicher profitabel.

Nasty Peace, Performance mit Audiowalk von Copy & Waste. Bis zum 6. Dezember, donnerstags und freitags 19 Uhr, samstags und sonntags 17 und 19 Uhr. Start: Kohlfurter Straße 33. Karten: 12, erm. 8 €.

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