Giftige Bonbons

Im Kino: »The Zero Theorem« von Terry Gilliam

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Aktualisierungen eigener Werke unterliegen der Gefahr der Selbstkopie und gehen dementsprechend selten gut aus. Die Gefahr erhöht sich, wenn das Original gar keines Updates bedarf, weil es meisterhaft zwischen den Kosmen Kafkas und Orwells changiert und trotz Längen in fast jeder Beziehung überwältigend ist. Gemein wird es, wenn der Regisseur diese Verbindung zwischen zwei Werken selber gar nicht so intendiert hat. Und so kann sich Terry Gilliam zwar in Interviews dagegen verwahren - sein ziemlich verunglückter neuer Film »The Zero Theorem« wird dennoch stur in eine Reihe mit seinem modernen Klassiker »Brazil« (1985) gestellt und als dessen Fortsetzung oder eben Aktualisierung gedeutet.

»The Zero Theorem« kann dabei nur verlieren, auch wenn die Parallelen zwischen den Werken unübersehbar sind. Beides sind düstere Zukunftsvisionen, in beiden Handlungen gerät ein Individuum ins Räderwerk der bestimmenden Macht. In »Brazil« ist das ein irrwitziger Bürokraten- und Überwachungsstaat. Für »The Zero Theorem« hat sich Gilliam die aktuellen Herrschaftsstrukturen vorgeknöpft: Der Staat ist längst vor den allmächtigen Privatfirmen in die Knie gegangen.

Für einen solchen Software-Giganten arbeitet Qohen Leth (Christopher Waltz) bis zum Total-Burnout. Der neurotische, glatzköpfige Hacker spricht von sich selber in der dritten Person und geht nicht mehr vor die Tür: Vor langer Zeit hat er einen ominösen Telefonanruf verpasst, der Sinn des Lebens sollte ihm mitgeteilt werden. Seither steigert er sich in handfeste Depressionen hinein. Und er hat sich geschworen, den nächsten Anruf entgegenzunehmen, koste es, was es wolle. So harrt er einsam zu Hause aus. Bestärkt wird er auch noch von seinem Arbeitgeber, der große Stücke auf ihn hält, und ihn mit der Suche nach dem sagenumwobenen Zero-Theorem betraut.

Da verplempert also einer sinnlos sein Leben - indem er auf Hinweise auf eben jenen Sinn wartet. Hinweise, die er aber (indem er es verweigert, am Leben teilzunehmen) zwingend verpassen muss. Diese Konstellation, kombiniert mit dem Film-Untertitel »Das Leben passiert jedem«, nährt früh den Verdacht, einer Lektion in Küchenphilosophie beizuwohnen.

»The Zero Theorem« ist erstklassig besetzt. Neben Christoph Waltz bevölkern Matt Damon, Tilda Swinton, David Thewlis oder Mélanie Thierry die skurrile Szenerie - die ist im Vergleich zum finsteren »Brazil« eher von bonbonfarbener Giftigkeit. Porno, PR, Fastfood, Cybersex, (Selbst-)Ausbeutung, Entfremdung - Gilliam möchte am liebsten alle Geißeln der modernen Welt in einen Film packen, und überhebt sich dabei. Vielleicht war einfach zu wenig Geld und Zeit vorhanden, um Gilliams Ideenflut zu ordnen und auszudünnen. Der Film wirkt unfertig.

Ein enttäuschendes Terry-Gilliam-Werk stellt aber immer noch viele Hollywood-Produktionen in den Schatten. Oder, wie der »Spiegel« schreibt: »Terry Gilliam scheitert mit Würde, er scheitert an der eigenen Vision.«

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