nd-aktuell.de / 28.11.2014 / Politik / Seite 8

Jugend will Taiwan retten

Landesweite Kommunalwahlen bieten 10 000 Posten und damit viele Chancen

Klaus Bardenhagen, Taipeh
Die junge Generation des chinesischen Taiwan hat genug von altem Streit, begehrt auf und will ihr Land in eine neue Richtung führen. An diesem Samstag ist großer Kommunalwahltag.

»Fuck the Government« steht da Weiß auf Schwarz. Darunter auf Chinesisch: »Unser Land müssen wir schon selbst retten.« Dieses T-Shirt tragen junge Taiwaner derzeit besonders gern, wenn sie demonstrieren. Grund zum Protest haben sie reichlich: Gegen Enteignungen, wirtschaftliche Abhängigkeit von China und Verflechtungen zwischen Politik und Konzernen. Für mehr Transparenz, Umweltschutz und die Abkehr vom politischen Lagerdenken, das ihr Land seit Jahrzehnten lähmt.

Derweil beansprucht die Volksrepublik die Insel für sich und droht mit Gewalt, sollte sie sich formell für unabhängig erklären. Faktisch ist Taiwan das aber längst. Die frühere Diktatur der Kuomintang-Partei (KMT) wandelte sich vor 20 Jahren zur Demokratie. Die 23 Millionen Taiwaner können ihre Regierung frei wählen, und niemand will Peking bestimmen lassen. Die jüngsten Ereignisse in Hongkong sind für Taiwaner der Beweis, dass die Formel »Ein Land, zwei Systeme« für sie nicht in Frage kommt.

Politischer Streit gehört hier zur Tagesordnung. Die KMT, die sich mittlerweile zur Demokratie bekennt, und die aus der Dissidentenbewegung hervorgegangene Oppositionspartei DPP stehen sich unversöhnlich gegenüber. Dass aber die junge Generation mitmischt, ist neu. Lange wurden Taiwaner unter 40 Jahren politisch nicht für voll genommen, sie hatten im Sinne der konfuzianischen Ideologie die Älteren zu respektieren. Wählen dürfen Taiwaner erst mit 20.

Jahrelang wachsender Frust entlud sich im März, als Studenten im Handstreich Taiwans Parlament besetzten. Der Auslöser: Die KMT-Regierung wollte ein umstrittenes Handelsabkommen mit China durchpeitschen. Von internationalen Medien als »anti-chinesisch« abgestempelt, ging es der »Sonnenblumen-Bewegung« vor allem um die Reparatur eines Systems, im dem Politiker sich zu oft vor laufenden Kameras raufen, statt lagerübergreifend Lösungen zu suchen. Fast vier Wochen lang harrten die Studenten im Plenarsaal aus und erfuhren breite Unterstützung aus der Bevölkerung.

Die Demonstranten in Hongkong haben damals genau zugesehen und gelernt, wie sich Massenproteste über einen langen Zeitraum organisieren lassen. Taiwans junge Menschen wissen seitdem, dass sie auch außerhalb des etablierten Systems ihre Ziele erreichen können.

»Unsere Generation fragt jetzt, was ist eigentlich passiert, warum haben die Politiker unsere Gesellschaft so ruiniert?«, sagt die 25-jährige Iris Chiu. In Taiwan nehmen soziale Spaltungen zu. Während Konzerne und Investoren von der wirtschaftlichen Öffnung zu China profitieren, stagniert das Einkommen normaler Arbeitnehmer. Viele Uni-Absolventen finden keine ordentlich bezahlten Jobs, und die Immobilienpreise in den Städten explodieren. »Wenn wir uns die sozialen Probleme genauer ansehen, finden wir viele Ungerechtigkeiten«, sagt Chiu, »Das macht uns wütend. Bei diesen Wahlen wollen wir mit unserer Stimme dazu beitragen, dass sich etwas ändert.«

Weil bei den landesweiten Kommunalwahlen jetzt mehr als 10 000 Posten zu besetzen sind, bieten sich viele Chancen für Jüngere. Einige, die im Frühjahr noch das Parlament besetzt hatten, kandidieren nun als Stadtrat oder Gemeindevorsteher, um das System von innen zu verändern. Wer nicht selbst antritt, unterstützt Kandidaten, die Verständnis zeigen für die neuen sozialen Bewegungen und ihre Anliegen.

Nirgendwo zeigt sich ihr Einfluss so deutlich wie in Taipeh. Der Bürgermeisterposten hier ist der größte Preis, der bei diesen Wahlen zu vergeben ist. Eigentlich steht die Hauptstadt fest zur konservativen, China-freundlichen KMT. Doch mit ihrem Kandidaten mutet sie den Wählern wohl zu viel zu: Sean Lien, Prototyp eines »Princeling«, entstammt einer schwerreichen Polit-Dynastie und kann noch keine eigenen Erfolge vorweisen. Vor allem junge Wähler machen sich im Netz über jeden Fehltritt des Establishment-Kandidaten lustig. Dass er in den Umfragen tatsächlich hinten liegt, ist die eigentliche Sensation.

Ein unparteiischer Quereinsteiger könnte ihn abhängen: Ko Wen-je, ein bedächtig und etwas linkisch auftretender Arzt, dessen Kampagne ganz auf Graswurzel-Mobilisierung setzt. Er verkörpert die Hoffnung vieler Wähler, die innere Spaltung ihres Landes zu überwinden. China wird aufmerksam beobachten, wie eigensinnig die Taiwaner geworden sind.