Musik für bessere Zeiten

Neue Überlegungen zum Spätwerk des umstrittenen Komponisten Richard Strauss

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 7 Min.

Im November fanden in Dresden die Richard-Strauss-Festtage statt - Abschluss und Höhepunkt des Jubiläumsjahres zum 150. Geburtstag des Komponisten. Drei Spätwerke wurden im Rahmen der Festtage aufgeführt: »Arabella«, »Capriccio« (beide unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann) und »Daphne« (Leitung Omer Meir Wellber). Sie bieten Anlass, neu über Strauss’ letzte Schaffensphase nachzudenken. Aber auch die Aufführungen der anderen sechs Dresdner Strauss-Aufführungen in dieser Spielzeit - vom Erstling »Guntram« bis zu »Ariadne auf Naxos« - animieren zu neuen Überlegungen.

Nach den für Strauss’ Opernschaffen mageren 1920er Jahren begann mit »Arabella« eine ähnlich fruchtbare Schaffensphase (1929 bis 1941) wie die von »Salome« bis zur »Frau ohne Schatten« (1903 bis 1917). Ins anscheinend unverrückbare Repertoire vermochte allerdings nur die 1933 in Dresden uraufgeführte »Arabella« einzudringen. Allerdings hegte die junge Generation nach dem Ersten Weltkrieg andere ästhetische Vorstellungen und stand dem als spätromantisch empfundenen Musiktheater von Strauss kritisch gegenüber. Ihre Vorbehalte konnten dem Werk mit seiner feinsinnigen Komödiantik und ergreifenden Lyrik aber nicht ernsthaft schaden.

Heftiger wurden die Einwände der Jüngeren gegen die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Werke. Dazu kam die zum Teil ziemlich oberflächliche, bis heute kontrovers geführte Kritik an Strauss’ Verhalten gegenüber den faschistischen Machthabern. Vor allem wird Strauss angekreidet, 1933 das Amt des Präsidenten der neu geschaffenen Reichsmusikkammer übernommen zu haben. Die faschistischen Machthaber wussten, welch internationales Ansehen Richard Strauss genoss und versuchten, ihn als Aushängeschild für ihre nationalistische, von Anfang an judenfeindliche Kulturpolitik einzuspannen. Der politisch im Grunde naive Komponist glaubte anfangs, dank seiner künstlerischen Autorität Schaden an der deutschen Musikkultur verhindern zu können.

Allein schon die nach dem Tod des bisherigen Textdichters Hugo von Hofmannsthal 1931 von Strauss begonnene und 1933 unvermindert fortgesetzte Zusammenarbeit mit dem österreichisch-jüdischen Dichter Stefan Zweig weckte den Argwohn der Machthaber und veranlasste sie, Strauss’ Briefwechsel von der Gestapo überwachen zu lassen. Nach einem abgefangenen Brief an Stefan Zweig, in dem Strauss schrieb, dass er sich von einem Bübchen von Minister (dem für die Kultur zuständigen Propagandaminister Goebbels) nichts vorschreiben lasse, zwangen ihn die Nazis 1935 zum Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer.

Darob wurde Strauss gewiss nicht zum Widerstandskämpfer, und er dachte auch nicht ernsthaft an innere Emigration wie sein 41 Jahre jüngerer Münchener Komponistenkollege Karl Amadeus Hartmann. Noch weniger erwog der inzwischen über 70-Jährige, der fest im deutschen Opernleben verwurzelt war, die Emigration. Aber er nahm eine kritische Stellung zum Nazi-Reich ein und drückte das auf seine Weise in den folgenden Werken aus. Unter den damaligen Bedingungen war das im Werk aber nur im historischen oder mythologischen Gleichnis möglich. Während Strauss 1934 zu seinem 70. Geburtstag noch offiziell gefeiert wurde, untersagten die Machthaber zum Achtzigsten 1944 alle öffentlichen Ehrungen.

Schon bei der Uraufführung der mit Stefan Zweig geschaffenen komischen Oper »Die schweigsame Frau«, deren Text und Musik auf originelle Weise Elemente der Opera buffa zu neuem Leben erwecken, bekam Strauss 1935 die Macht der Nazi-Herrscher zu spüren. Erst nach seinem energischen Protest durfte der Name Stefan Zweig auf dem Besetzungszettel genannt werden - mit dem Ergebnis, dass diese Oper nach vier Aufführungen bis zum Untergang des Nazi-Reiches 1945 nicht mehr in Deutschland aufgeführt werden durfte. Trotzdem wollte Strauss seine Zusammenarbeit mit Zweig fortsetzen. Dessen ernsthaften Bedenken, dass für gemeinsame Werke keine Aufführungsmöglichkeiten bestünden, entgegnete Strauss - wohl in der trügerischen Hoffnung auf sich bald ändernde Zustände -, die neuen Werke einstweilen im Schreibtisch verwahren zu wollen.

Der die Situation realistischer einschätzende Zweig schlug den mit ihm befreundeten Theaterwissenschaftler Joseph Gregor als Librettisten vor, erklärte sich aber zur verschwiegenen Mitarbeit bereit. Denn der Dichter hatte mit Strauss schon weitreichende Opernpläne erwogen und ein Szenarium ausgearbeitet, das am 24. Oktober 1648, am letzten Tag des 30-jährigen Krieges, spielt. Davon war Strauss, der nach der »Schweigsamen Frau« unbedingt eine ernste Oper schaffen wollte, sofort angetan. An dem von Joseph Gregor ausgearbeiteten Textbuch zur Oper »Friedenstag«, für das Strauss viele Veränderungen verlangte, war Zweig bis zur Endfassung beteiligt.

Die eindeutige Stellungnahme des Librettos gegen Krieg und für Frieden angesichts der 1935 von den Nazis in Deutschland wieder eingeführten Wehrpflicht und der heimlich betriebenen Aufrüstung bleibt vor allem Zweig zu verdanken. Dennoch wurde 1989 zu Strauss’ 125. Geburtstag auf einem Symposion im Leipziger Gewandhaus lebhaft bezweifelt, dass es wirklich eine Friedensoper sei. Dabei spricht nicht nur der Text gegen den Krieg, sondern auch die zu wesentlichen Aussagen beklemmende Härte der Musik. Den Frieden besingt nach erlösendem Glockengeläut das hymnische Finale. Die Frau des Festungskommandanten, die als einzige Person des Stückes einen Namen trägt und vielsagend Maria heißt, verurteilt in einem großen beschwörenden Monolog den Krieg am eindringlichsten. Worte wie »Krieg, furchtbarer Würger Krieg! ... Verflucht seist du Krieg!« schleudert sie ihrem Mann entgegen, der Durchhalten verlangt. Für dieses Werk fand Strauss eine den Härten und der Expressivität »Elektras« nahekommende, in der späten Schaffensphase gänzlich ungewöhnliche Musik.

Mit der bald nach dem »Friedenstag« komponierten Oper »Daphne«, wiederum nach einem Text von Gregor, stellte Strauss dem Krieg die idealisiert dargestellte Natur gegenüber. Das Naturwesen Daphne verweigert sich dem einst wie ein Bruder geliebten Jugendfreund Leukippos und entzieht sich auch dem zunächst als Rinderhirt verkleideten Gott Apollo, der Leukippos ermordet, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelt. Um diese Absage an eine kriegerische Welt zu verstehen, muss man das Bühnengeschehen weder ins Heutige verlegen noch Apollo von bewaffneten Gestalten mit SS-Manier umgeben lassen, wie es die Dresdner Inszenierung von 2010 unternahm.

Im Unterschied zur weithin herben Musik des »Friedenstages« erfand Strauss für »Daphne« eine in der Grundhaltung lichte, seelenvolle, weithin wie Kammermusik wirkende Tonsprache, die vom Oboenklang geprägt ist. Beide Werke wollte Strauss an einem Abend als Ganzes in Dresden uraufgeführt haben. Um endlich auch eine Strauss-Uraufführung vorweisen zu können, drängte jedoch der Dirigent Clemes Krauss den Komponisten, ihm den »Friedenstag« für die Münchener Sommerfestspiele 1938 zu überlassen. Strauss’ Absicht verwirklichte dann die Staatsoper Dresden, indem sie der Uraufführung der »Daphne« im Oktober 1938 den »Friedenstag« voran stellte.

Die von Strauss gewünschte Doppelaufführung dürfte auch heutzutage sinnvoll sein. Mit beiden Werken bezog der Komponist Stellung zu Hitler-Deutschland. Als 1939, ein Jahr nach der Uraufführung, der Zweite Weltkrieg begann, verschwand der »Friedenstag« bald von den deutschen Bühnen. Eigenartigerweise erlebte dieses Werk auch nach Kriegsende nur vereinzelt Aufführungen. Erst 1995 rückte Peter Konwitschnys Dresdner Inszenierung das Werk wieder in den Blickpunkt.

Im Zusammenhang mit der Konstellation »Friedenstag«/»Daphne« gilt es indessen, auch Strauss’ frühere Oper »Die ägyptische Helena« neu zu bedenken. Dieses wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg geschaffene Heimkehrerdrama, dessen Problematik bereits Euripides auf die Bühne brachte, handelt vom schwierigen Zusammenfinden zweier gänzlich entfremdeter Partner nach einem langen aufreibenden Krieg. Auch für dieses Thema fand Strauss einen ganz eigenen musikalischen Tonfall.

Auf wenig Verständnis trafen die beiden letzten Strauss-Opern, die zwischen 1938 und 1941 entstandene heitere Mythologie »Die Liebe der Danae« (Text Josseph Gregor) und das Konversationsstück für Musik »Capriccio« (Text Clemens Krauss und Richard Strauss). Zum »Capriccio« wurde gefragt, wie man während des Krieges ein so weltfremde Stück schreiben könne.

Immer noch von Schaffensdrang bewogen, hatte Strauss diese beiden heiteren Werke für bessere Zeiten geschrieben. Zum Thema Gold und Liebe hatte Wagner in seinem »Ring des Nibelungen« alles Wesentliche gesagt. Im antiken Gewand bot Strauss mit der »Liebe der Danae« dazu ein heiteres Gegenstück, das auf einen Entwurf von Hugo von Hofmannsthal zurückgeht. Sein Jupiter kommt im Gegensatz zu Wagners tragischem Wotan nach vielem Hin und Her um Gold und Liebe zu der freundlichen Einsicht, den Eseltreiber Midas und die ihn liebende Danae als einfache Menschen in Frieden leben zu lassen.

Mit »Capriccio« beschloss Strauss dann sein Opernschaffen in heiterer Gelassenheit, indem er darin die ihn und seine großen Vorgänger bewegenden Probleme der Operngestaltung geistvoll erörtern lässt. Zu diesen beiden letzten Werken schuf er in schlimmen Jahren für jene besseren Zeiten, deren Kommen er ersehnte, eine ideenreiche, feinsinnige, von Altersweisheit durchdrungene Musik. Sie lässt den Zuhörer nicht wie jene der »Elektra« oder auch des »Friedenstages« erschauern, vielmehr beglückt sie ihn mit ihren melodischen und klanglichen Kostbarkeiten. Die Opernkultur wäre um zwei Schätze ärmer, wenn Strauss diese Werke nicht geschrieben hätte.

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