nd-aktuell.de / 05.12.2014 / Aus dem Netz gefischt / Seite 17

Einheimische und Mehreinheimische

Netzwoche

Jürgen Amendt

Die »Neuen Deutschen Medienmacher« sind laut Eigendarstellung »ein bundesweiter Zusammenschluss von Medienschaffenden mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Kompetenzen und Wurzeln«, der sich u.a. für eine diskriminierungsfreie Sprache in den Medien einsetzt. Kürzlich veröffentlichte das Netzwerk auf neuemedienmacher.de »Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland«. Aufgelistet werden Begriffe u.a. zu den Themen Islam, Migration und Asyl. Statt von »Einheimischen« zu schreiben bzw. zu sprechen, wird die Formulierung »Einheimischen und Mehreinheimische« empfohlen. Das Wort »Einheimische« erzeuge »ein schiefes Bild«, »weil viele Eingewanderte und ihre Kinder hier längst heimisch« seien, heißt es zur Begründung.

Viele Journalisten haben mit Hohn und Spott auf die Empfehlungen reagiert (etwa Henryk M. Broder auf welt.de). Differenziert setzt sich Julius Hagen auf ruhrbarone.de mit der Liste auseinander. Der Leitfaden werde »seinem eigenen Anspruch einer ›korrekten und präzisen‹ Darstellung der Wirklichkeit nicht gerecht, da er ein unausgesprochenes Vorverständnis voraussetzt.« Bei den Formulierungshilfen handele es sich »um ein weitgehend akademisches Vokabular aus den sogenannten postcolonial studies, den critical whiteness studies und den gender studies«. Diese Theorien würden »fernab der Lebenswirklichkeit des Publikums in gesellschaftlich abgeschotteten Kreisen an Universitäten diskutiert«. Hagens zentraler Vorwurf an die Verfasser des Glossars: »Wirklichkeit soll nicht mehr zutreffend beschrieben, sondern diskursiv geschaffen werden.«

Das Erschaffen einer »diskursiven Realität« aber ist die Absicht einer jeden Ideologie, die sich anschickt, die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Ideologien brauchen ein theoretisches Fundament, um sich Legitimation zu verschaffen. Dieses Fundament wiederum muss von Zeit zu Zeit restauriert werden, damit es tragfähig bleibt. Deshalb - und auch darauf weist Julius Hagen hin, hat die Sprache der Ideologie ein Verfallsdatum. Kaum sei ein neuer Begriff eingeführt, werde dieser als rückständig deklariert. Auf »Ausländer« sei »Migrant«, dann »Menschen mit Migrationshintergrund« gefolgt. Heute werde diskutiert, ob es nicht besser »Personen mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung« heißen müsse.

Sophisterei zieht naturgemäß Kritik und Spott nach sich. Diese sind oftmals Ausdruck einer »unterbewussten Trauer ›privilegierter, weißer Männer‹ darüber, dass sie nicht mehr ›Neger‹ sagen dürfen«, so Hagen. Er warnt aber davor, diese Kritik leichtfertig als Shitstorm von Rechts abzutun. Die »konservativen Skeptiker« würden ein Unbehagen aufgreifen, »das einen berechtigten Kern hat, der die Rolle und Funktion des Journalismus für die Demokratie betrifft. Denn gut gemeinte Ratschläge sind oft die Vorstufe zu Tabus und soziologischem Aberglauben, gegen den eine präzise Berichterstattung immunisieren kann.«