Wut auf den Staat hat neue Nahrung

Protestdemonstrationen am Jahrestag der Tötung eines griechischen Schülers

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem massiven Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern ist die griechische Polizei in der Nacht zum Sonntag im Zentrum von Athen gegen Demonstranten vorgegangen.

Sechs Jahre nach dem Tod von Alexis Grigoropoulos stand ein Freund des 15-jährigen Schülers am Samstag im Mittelpunkt der Demonstrationen zum sechsten Jahrestag des Todes von Alexis. Nikos Romanos hatte 2008 neben seinem Kameraden im Athener Alternativviertel Exarchia gestanden, als dieser von dem Polizisten Epaminodas Korkoneas vorsätzlich erschossen wurde. In ganz Griechenland zogen danach Tausende Schüler, Studenten und Prekarisierte auf die Straßen, um gegen die staatliche Gewalt, aber auch gegen ein mangelhaftes Bildungssystem und düstere Zukunftsaussichten zu protestieren. Vor allem Athen, aber auch andere Städte wurden zu Zentren militanter Auseinandersetzungen, die sich die Jugendlichen über mehr als zwei Wochen mit der Staatsmacht lieferten.

Auch die Demonstrationen am Samstag, sechs Jahre danach, waren von Ausschreitungen geprägt. In den Straßen um das Athener Polytechnikum lieferten sich Hunderte von Aktivisten des anarchistischen Spektrums Straßenschlachten mit der Polizei. Fahrzeuge, Bankfilialen und Geschäfte wurden in Mitleidenschaft gezogen, teilweise in Brand gesetzt. Auch aus Thessaloniki wurden derartige Vorfälle gemeldet.

Hintergrund der diesjährigen militanten Ausschreitungen - die Gedenkdemonstrationen in den vergangenen Jahren waren größtenteils friedlich verlaufen - ist die Weigerung des Staates, Romanos studieren zu lassen. Der 21-Jährige wurde durch die Ermordung seines Freundes politisch radikalisiert und sitzt seit 2013 wegen zweifachen Bankraubs im Norden Griechenlands im Februar 2013 im Gefängnis. Im dortigen Schulprogramm hatte Romanos die Zulassung im Studiengang Krankenhausmanagement an der Athener Fachhochschule bestanden und sollte deswegen sogar von der griechischen Regierung mit einer Auszeichnung bedacht werden. Die hatte der überzeugte Anarchist jedoch abgelehnt.

Als Romanos im September dieses Jahres den Antrag für den gesetzlich vorgesehen Freigang zum Hochschulbesuch stellte, wurde dieser jedoch abschlägig beschieden. Seit dem 10. November wehrt sich der junge Anarchist dagegen mit einem Hungerstreik, bisher jedoch erfolglos.

Allerdings haben sein Anliegen und seine standhafte Haltung strikter Systemgegnerschaft eine auch für Griechenland erstaunliche Welle an Solidarität ausgelöst. Seit Beginn des Hungerstreiks fanden Hunderte, teilweise militante Solidaritätsaktionen für Romanos statt. In verschiedenen Städten besetzten Aktivisten Rathäuser, Universitätsverwaltungen und Gewerkschaftsgebäude. Alle linken Parteien, darunter SYRIZA und die Kommunistische Partei, zahlreiche Gewerkschaftsorganisationen, namhafte Künstler und Professoren fordern die Erteilung der Freigangerlaubnis für den mittlerweile in einem kritischen Gesundheitszustand befindlichen Hungerstreikenden.

Auch für Sonntagabend (nach Redaktionsschluss) war erneut zu Demonstrationen in Athen aufgerufen worden. Diesmal jedoch anlässlich der geplanten Abstimmung über den griechischen Staatshaushalt für 2015. Wie seine Vorgänger ist dieser Haushalt von einer Fortsetzung der Sparpolitik geprägt. Unter anderem sind neue Kürzungen bei den Ausgaben für Bildung und Gesundheit vorgesehen. Der Gläubigertroika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Weltwährungsfonds gehen die »Einsparungen« allerdings nicht weit genug. In vorauseilendem Gehorsam hat die griechische Regierung deswegen bereits für den Bedarfsfall neue Steuererhöhungen oder Kürzungen in einem Nachtragshaushalt in Aussicht gestellt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal