nd-aktuell.de / 08.12.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Mehr Naturzerstörung trotz Umweltpolitik

Friedrich Schmidt-Bleek hält die Energiewende für zu kurz gedacht und fordert die Reduzierung des Ressourcenverbrauchs

Guido Speckmann
Das Konzept des »grünen« Wachstums stößt auf viel Kritik. Sogar bei einem Mitgründer des renommierten Wuppertal Instituts.

Das Bild von Deutschland als Vorreiter im Umweltschutz bröckelt, als Klimakanzlerin gilt Angela Merkel heute nicht mehr. Aber rückblickend besteht es noch: So fand das Erneuerbare-Energien-Gesetz Nachahmer in 65 Staaten. Doch sowohl die Energiewende als auch der Hoffnungsträger Elektroauto sind nichts weiter als eine »grüne Lüge«, so der Titel des neuen Buches von Friedrich Schmidt-Bleek. Darin kritisiert der Pionier der deutschen Umweltforschung, es gehe im Prinzip nur um »die technische Korrektur von umweltbelastender Technik, die durch einen höheren Einsatz an Ressourcen und technischer Energie erkauft wird«. Das nennt der Mitgründer des Wuppertal Instituts für Umwelt, Klima, Energie einen fundamentalen Konstruktionsfehler unserer Umweltpolitik.

Verdeutlichen wir das am Vorzeigeprojekt Energiewende. Schmidt-Bleek zufolge trägt der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zur Entschärfung des Umweltproblems bei, denn dadurch würden nur Symptome bekämpft. Warum? Weil sich die Energiewende »nahezu ausschließlich auf technische Energie konzentriert«, insbesondere auf die Verringerung der CO2-Emissionen. Ursache für den Klimawandel seien jedoch nicht allein die Verwendung von technischer Energie und der damit verbundene Ausstoß von Kohlenstoffen. Vielmehr trage dazu »auch und in allererster Linie« der Verbrauch natürlichen Materials bei, stellt Schmidt-Bleek fest. So die Entnahme von Sand, der Verbrauch von Wasser, das Abholzen von Wäldern und vieles mehr.

Schmidt-Bleek fordert stattdessen eine Ressourcenwende, sprich die Reduzierung des Materialverbrauchs um den Faktor 10 - bei gleichem oder sogar noch mehr Wohlstand. Hier allerdings sind Zweifel angebracht, weil die Sinnhaftigkeit des Wohlstandsmaßes Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht problematisiert wird und die Ressourcenproduktivität enorm steigen müsste, was fraglich ist. Zutreffend ist jedoch folgende Aussage: »Dass es irgendwann kein neues Material geben wird, dass die Menschheit mit dem Planeten auskommen muss, auf dem sie lebt, ist eine Erkenntnis, die erstaunlich hartnäckig verdrängt wird.«

Schmidt-Bleek hat einen Ansatz entwickelt, der die Umweltbelastung von Produkten in Bezug auf ihre Lebensdauer und Entsorgung misst: den Materialinput pro Serviceeinheit (MIPS). Weil Outputströme wie Emissionen, Abfälle und Abraum nur schwer fassbar sind, nimmt er an, dass durch die MIPS-Reduzierung auch die Umweltbelastung verringert werden kann. Mit diesem Konzept und mit vergleichbaren Ansätzen der Stoffflussanalyse lassen sich die Fürsprecher eines grünen oder nachhaltigen Wachstums widerlegen, die eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch für möglich halten. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass zwar das BIP als Kennziffer für das Wachstum schneller wachsen kann als der Ressourcenverbrauch, aber eine absolute Reduktion des Materialeinsatzes bisher nicht festzustellen ist. Deshalb sieht Schmidt-Bleek eine paradoxe Situation: Derzeit wird so viel Umweltpolitik betrieben wie noch nie, zugleich nimmt jedoch das Ausmaß der Naturzerstörung zu.

Schmidt-Bleeks Buch weist überzeugend auf eine zentrale Blindstelle der herrschenden Umweltpolitik hin: den hohen, weiter steigenden Materialeinsatz gegenwärtiger Ökonomien. Das macht er im Übrigen schon seit rund 20 Jahren - ohne großen Erfolg. Man merkt ihm an, dass er nicht recht versteht, warum. Zum einen liegt das wohl daran, dass seine Analyse auf den Abschied vom materiellen Wirtschaftswachstum hinausläuft. Dieser indes ist mit kapitalistischen Ökonomien unvereinbar. Das ahnt der Verfasser nur, weil seine Argumentation politische und soziale Verhältnisse nicht genügend berücksichtigt. Wenn doch, erweist sie sich tendenziell als marktkonform. Dass die kapitalistische Produktionsweise aufgrund des Konkurrenzprinzips den Einzelunternehmer dazu zwingt, kurzfristig zum Beispiel auf fossile Rohstoffe zu setzen, diskutiert Schmidt-Bleek nicht. Andererseits sind die meisten linken Strömungen immer noch von klassisch keynesianischen oder marxistischen Vorstellungen geprägt, die ebenfalls auf Produktivkraftfortschritt und Wachstum setzen, also auf einen schnelleren Ressourcenverbrauch und stärkere Umweltbelastungen. Sie sollten Schmidt-Bleek lesen - und dieser sie.

Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen, Verlag Ludwig, München 2014, 302 S., 19,99 Euro.