nd-aktuell.de / 07.12.2014 / Die Tatort Kolumne

Das fand ich sehr lieb

Matthias Dell über die Hannoveraner »Tatort«-Folge »Der sanfte Tod«

Matthias Dell

Die Abende, an denen Maria Furtwängler zu Besuch kommt auf dem Bildschirm, sind keine entspannten Abende. Man lümmelt nicht auf der Couch, sondern sagt »Sie« und drückt den Rücken durch. Mit Maria Furtwängler marschiert ein Heer von Bedeutungen ein im eh schon bedeutungsvollen Sonntagabendkrimi, weil das Schauspiel nur ein Teil des Furtwängler-Portfolios aus Verlegergattin, Ärztin, Berühmte-Nachnamen-Trägerin und Netzwerknoten ist. Es wird einem ganz funktionös-präsidial zu Gemüt. Für die Vielfalt an Bedeutungen von Maria Furtwängler spricht, dass sie nicht nur zu unendlich vielen Themen in Talkshows befragt werden könnte – es fällt auch gar nicht auf, wenn Maria Furtwängler, ohne besonderen Hintersinn, gleich selbst befragt als Moderatorin wie unlängst bei 40 Jahren »3 nach 9«[1] gemeinsam mit Judith Rakers und »Lorenzo di Lorenzo« (René Pollesch).

Die Hannoveraner »Tatort«-Folge »Der sanfte Tod« (NDR-Redaktion: Christian Granderath, Philine Rosenberg) sieht das ähnlich, insofern Charlotte Lindholm hier auf einem in Niedersachsen schon realhistorisch (Wulff, Schröder, Maschmeyer, Sumpf) populären Stelldichein von Politik und Ökonomie, unerwartet auflaufen muss in Alltagsuniform – und nur gesagt bekommt, dass sie bella figura macht: »Sie sind hier mit Abstand die schönste Frau.« Ob das in der Ballung ironisch gemeint ist?

Auf den Gedanken kommen könnte man, weil mit Alexander Adolph (Buch und Regie) der Autor der legendären Münchner Gisbert-Folge mit Fabian Hinrichs[2] am Start ist. Dass jemand, der so präzise und eigensinnig erzählt, seine Erfüllung in der schlichten Aufhübschung des Furtholm-Images sähe, fällt schwer zu glauben. Andererseits steckt man nicht drin in den Abhängigkeiten, die ein so komplexes Gebilde wie der deutsche Fernsehfilm produziert, und schließlich unterscheidet sich ein Film von der Systemgastronomie, die überall gleich schmecken will, noch immer darin, dass künstlerische Arbeit auch scheitern kann.

Das kann man bei »Der sanfte Tod« beobachten, wo Adolphs hübsche Sätze (»Es gibt keine Realität«) und Einfälle (die Gesichte der Lindwänglerin, ihre unruhigen Träume) Ausflüge vom Parkplatz der Routine machen, auf dem am Ende der »Tatort« doch immer abgestellt werden muss: die alles checkende Furtholm auf dem Politik-Ökonomie-Empfang, das – in Hannover kanonisch – lieblose Verhältnis zum Kommissarinnen-Kind. Auch die Geschichte hängt schief: Eigentlich wären die Händel um den Schlachthof-Tycoon (als er selbst konsequent: Heino Ferch) ein toller Anlass, die Sklaverei ähnlichen Sub-Sub-Sub-Unternehmer-Verhältnisse der niedersächsischen Fleischindustrie mindestens zur Vorlage bei »Günther Jauch« zu promoten (Maria Furtwängler könnte bella figura machen). Dann lugen die bulgarischen Tagelöhner aber nur kurz vor Schluss in die Ermittlungen hinein, und den Übersetzer bringt die Kommissarin beim nächsten Mal mit.

Zu den größten Rätseln der Folge gehört die Dorfpolizistin Bär, die mit Bibiana Beglau grandios fehlbesetzt ist. Wie üblich[3] muss sich neben Furtholm alles zum Affen machen, damit der Glanz der Hauptfigur noch weiter strahlt, als das Privileg moralischer Erstempörung reicht. Warum sich aber ausgerechnet Beglau die Hose bis über den Bauchnabel zieht, damit es nach Blödijane aussieht, wo die Schauspielerin ihre Rollen normalerweise durch ziemlich harte Körperlichkeit erschöpft, kann einem niemand erklären.

Wie immer, wenn etwas gewollt, aber nicht gekonnt wird, ist Trash nicht fern: Das Abendessen für den Lindwänglerin-Sohn, bei dem die einzige zugeloste Freundin des armen Kindes irgendwas von Konzentrationslagern redet, scheint ohne Inszenierung und Schauspiel zustande gekommen zu sein. Und wenn die im Besprühlabor eingesperrte Kommissarin vor dem Gift auf allen vieren flieht durch die Ladeluke, wirkt das wie eine Einübung auf bevorstehende Prüfungen in RTLs Dschungelcamp (ab 16. Januar 2015). Das nimmt sich allerdings weniger ernst.

Eine Frage, mit der man Gehaltsverhandlungen eröffnen sollte:
»Wie viel Personal haben Sie denn auf ihrem Anwesen?«

Ein Interesse, mit dem man auf Stehempfängen auffallen könnte:
»Wer ist denn hier kompetent?«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sie sehen ja immer gut aus.«

Links:

  1. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik/frueher-war-s-besser-13267471.html
  2. https://www.freitag.de/autoren/mdell/schon-ne-schoene-stadt-muenchen
  3. https://www.freitag.de/autoren/mdell/und-weiter