In Memoriam: Marie Marcks

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Karikaturen - vor allem die politischen - haben einen großen Nachteil: Ohne den Zeitkontext, in dem sie entstanden sind, erklären sie sich meist nur schwer selbst. Das trifft auf obenstehend abgebildete Zeichnung von Marie Marcks in besonderem Maße zu. Sie erschien in dieser Form 1980 im »Stern«. Da lag die Zeit der sexuellen Revolte der 68er-Bewegung schon mehr als zehn Jahre zurück. Das Original stammt allerdings nicht aus dem Jahr 1980, sondern erschien bereits 1973 in der »Süddeutschen Zeitung« - allerdings mit einer deutlich unverfänglichen Antwort des Vaters (»Meinetwegen, kommt rein, aber woher habt ihr den albernen Ausdruck?«). Marcks hat die Zeichnung, mit der sie die Haltung der 68er aufs Korn nahm, alles Sexuelle zu enttabuisieren, einmal als eine ihrer Lieblingskarikaturen bezeichnet und bedauert, dass ihr bei der Erstveröffentlichung von der »Süddeutschen« aus Rücksicht auf die Befindlichkeit der Leser (»zu gewagt«) der Witz genommen wurde. Heute wäre eine solche Zeichnung nicht nur gewagt, sie würde sich der Gefahr aussetzen, missverstanden zu werden. Viele dürften die Comic-Figur »Schweinchen Dick« gar nicht mehr kennen und würden die Anspielung als frivolen Witz fehlinterpretieren.

Marie Marcks war eine Chronistin der sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Ihre Zeichnungen - in den 1960er Jahren pointiert gegen die bleiernen Zustände der Adenauer-Republik gerichtet, später der Frauen- und Umweltbewegung freundschaftlich-kritisch zugetan - spiegelten die großen Themen dieser Zeiten wider: Wiederbewaffnung, Ostverträge, Gleichberechtigung von Mann und Frau. Am 7. Dezember ist Marie Marcks im Alter von 92 Jahren in Heidelberg gestorben. Die nebenstehende Karikatur entnahmen wir der Reihe »Meister der komischen Kunst: Marie Marcks«, erschienen im Verlag Antje Kunstmann, München 2011, 111 S., 16 €. jam

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