Gasnetz-Rückkauf gekippt

Landgericht Berlin äußert harsche Kritik am Vergabeverfahren / Gasag zunächst weiter Betreiber

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Rekommunalisierung des Gasnetzes ist gescheitert. Das Landgericht Berlin äußert »allergrößte Bedenken« gegen die Vergabe an BerlinEnergie. Und untersagte mit seinem Urteil die Vergabe.

Am Ende der Verhandlung fragt der Richter nach einem Vergleich. Doch die Fronten zwischen den Kontrahenten um das Berliner Gasnetz - das Land Berlin auf der einen und der Gasag, die gegen die Vergabe geklagt hatte, auf der anderen Seite - sind zu verhärtet. So spricht der Vorsitzende Richter der 16. Zivilkammer, Peter Scholz, am Ende quasi eine Drohung aus: »Sie werden hinsichtlich der Vergabe in Jahren denken müssen«, sagt er in Richtung der Streitparteien. Schließlich werde nach einem Urteil sicherlich Berufung eingelegt werden. Ob das Gasnetz je rekommunalisiert wird, wie es vor allem die SPD-Fraktion will, könnte dann am Ende der Bundesgerichtshof entscheiden. Das Landgericht selbst untersagte am frühen Abend dem Land Berlin, das Nutzungsrecht für das Gasnetz an die kommunale BerlinEnergie zu übertragen.

Bereits in der mündlichen Verhandlung am Mittag ließ der für Kartellrecht zuständige Richter Peter Scholz keinen Zweifel an seiner Meinung. Und die lautet, so steht es auch im Urteil: Die landeseigene BerlinEnergie hätte nie bei der Konzessionsvergabe um das Gasnetz zum Zug kommen dürfen. Das Gericht hat vielmehr »allergrößte Bedenken« gegen die Entscheidung der Vergabestelle im Finanzsenat vom Juni dieses Jahres. Außerdem erkennt das Gericht »Mängel« bei der Vergabeentscheidung. So sei es beispielsweise unverständlich, warum das Land Berlin keine GmbH oder Eigenbetrieb gegründet habe, obwohl die Ausschreibung der Netzkonzession lange absehbar gewesen wäre. BerlinEnergie hieß es, sei »eigentlich nur ein Referat«, das als »Platzhalter« bezeichnet werden könne. Zudem sei eine Finanzierung des Rückkaufs des eine Milliarde Euro teuren Netzes »nicht sichergestellt«. Kritik äußert das Gericht außerdem an der sogenannten Change-of-Control-Klausel sowie den intransparenten Vergabekriterien. »Die Bewertungsentscheidungen sind unserer Meinung nach nicht nachvollziehbar.«

Die massive Richterschelte an der Vergabe zielt unmittelbar auf Noch-Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD), unter dessen Ägide der Vergabeprozess organisiert wurde. Nußbaum hatte eine Vergabe an die landeseigene BerlinEnergie empfohlen, ein abschließender Beschluss des Abgeordnetenhauses steht indes noch aus. Dass das Verfahren nun tatsächlich gekippt wurde, ist auch eine Schlappe für die SPD-Fraktion, die sich für eine Rekommunalisierung der Energienetze in Berlin stark macht. Die Union dagegen, die einen Rückkauf der Netze kritisch gegenübersteht, fühlt sich bestätigt. »Die Bedenken der CDU haben sich bewahrheitet«, erklärt Generalsekretär Kai Wegner. Er fordert die SPD auf, die Rechtslage endlich anzuerkennen und danach zu handeln.

Die SPD-Fraktion beeindruckt das indes wenig. »Man sollte in den Widerspruch gehen oder das Vergabeverfahren zur Gasnetzkonzession notfalls neu aufrollen«, sagt der Vizefraktionsvorsitzende der SPD, Jörg Stroedter, dem »nd«. Die Bürger würden die Rekommunalisierung wollen und die CDU nur wegen ihrer »Ideologie« auf dem Rückzug. Die Vorwürfe des Gerichts hält Stroedter »für überzogen«.

Wie auch immer der Rechtsstreit um das Gasnetz am Ende ausgeht, die Verbraucher müssen sich zunächst keine Sorgen machen. Denn das Netz wird auch nach Ablauf des Karenzjahres für die Gasnetzkonzession, die ursprünglich bereits am 31.12.2013 abgelaufen war, weiter durch die Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg der Gasag betrieben. »Wir sind dabei, mit dem Land eine Interimsvereinbarung zu erarbeiten«, sagt Rainer Knauber, der Leiter der Konzernkommunikation der Gasag dem »nd«. Kommende Woche sollen die Gespräche mit dem Senat abgeschlossen werden. Die Höhe der Konzessionsabgabe, die derzeit sieben Millionen Euro im Jahr beträgt, ist Teil der neuen Vereinbarung.

Für die oppositionelle Linkspartei ist eine jahrelange juristische Hängepartie unterdessen keine Lösung. »Wir fordern, dass man einen neuen Anlauf nehmen muss und das Thema Gasag insgesamt angeht«, sagt der energiepolitische Sprecher der Linksfraktion, Harald Wolf. Dazu müsse Berlin nicht nur Einfluss auf das Netz, sondern auch auf das Unternehmen Gasag bekommen. Um eine solche Strategie zu formulieren, sei der neue Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen gefordert, so Wolf.

Der neue Finanzsenator erbt von seinem Vorgänger auch die auf Eis liegende Vergabe zum Stromnetz. Auch für diese sind die Gerichtsbedenken zum Gasnetz von Bedeutung. Erste Nachbesserungen bezüglich der Vergabekriterien gab es bereits. Vattenfall-Geschäftsführer Helmar Rendez rechnet dennoch erst mit einer Entscheidung zur Stromnetzvergabe im dritten Quartal 2015 - und nur, wenn alles optimal läuft.

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