Die unmenschliche Maschine

Die Berliner Verwaltung will sich von ihrem kolonialen Erbe lösen

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 3 Min.
Schritt nach vorn: Mit einer Tagung wollen Wissenschaft, Schule und Verwaltung weg vom Bild vom »Schwarzen Mann«.

In Mitte steigt man an der Mohrenstraße aus der U-Bahn und an der Humboldt-Universität lächeln Rassentheoretiker in der Ahnengalerie: Das Erbe kolonialer Machtverhältnisse ist in Berlin omnipräsent, in Schule, Uni, der Öffentlichkeit - und trotzdem unsichtbar, weil weitgehend unproblematisiert, bis zu heutigen Diskussionen um »Flüchtlingsströme« oder »Asylanten«. 130 Jahre ist es her, dass auf Rufen Bismarcks die Kolonialmächte in der Hauptstadt zusammentrafen und den afrikanischen Kontinent mit dem Lineal wie einen Kuchen unter sich aufteilten. Ein Kapitel europäischer und deutscher Geschichte, das unter den Tisch fällt.

In der Werkstatt der Kulturen fand am Mittwoch die Tagung »Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus auf Senats- und Bezirksebene« statt. Vertreter aus Bildung, Wissenschaft und Verwaltung diskutierten hier Ansätze einer neuen Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur. In Sachen Nationalsozialismus sei das schon sehr weit, erklärt Barbara Loth, Staatssekretärin für Integration und Frauen. »Aber wir brauchen auch eine Erinnerungskultur zum europäischen Kolonialismus«. Dass hier noch ein weiter Weg vor der Hauptstadt liegt, dafür genügt ein Blick vor die Tür der Veranstaltung. Wissmannstraße ist die Adresse, Hermann von Wissmann ein deutscher Kolonialbeamter, der afrikanische Aufstände niederschlug, bei denen hunderttausende Menschen ums Leben kamen. Die Umbenennung von Straßen sei wichtig, findet Loth, die Änderung der Mohren- in Nelson-Mandela-Straße beispielsweise eine gute Idee. Getan ist es damit aber noch lange nicht. Denn auch die Staatssekretärin weiß: »Rassismus ist leider nicht nur eine Frage der Erinnerung, sondern findet hier und heute statt«.

Für Michael Weiß, Kulturamtsleiter in Mitte, ist die wichtigste Frage: »Wie kann kann man Kolonialismus aufarbeiten, ohne ihn zu reproduzieren?« Er ist beteiligt am Projekt LEO »Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel« im Wedding. Auch hier geht es um die Änderung rassistischer Straßennamen, die Aufstellung von Gedenktafeln, Projekte in Schulen und Bibliotheken. Die Verwaltung von Mitte habe sich geöffnet, für NGOs und Akteure aus der Zivilgesellschaft, erklärt Weiß. »Ohne die Einbeziehung der Perspektive schwarzer Menschen ist ein solches Projekt nicht möglich, und zwar nicht als Opfer, sondern als wissenschaftliche Experten.« Zu leicht wiederholten sich stereotype Denkweisen. Einen Afrika-Spielplatz wollte man im Wedding bauen, die Gestaltung partizipativ mit umliegenden Schulen, Kindergärten und Projekten organisieren. Herausgekommen waren eine Menge Giraffenrutschen und Affenschaukeln, bevor sich NGOs einschalteten und gegensteuerten.

Dass Kinder mit Afrika nur Tiere und Baströckchen verbinden, liegt in der Bildung. Sekundarschullehrerin Saraya Gomis erlebt das täglich. »Schule ist ungerecht, Rassismus bleibt normal, Chancengleichheit eine Utopie«, sagt sie. In Geschichtsbüchern fänden sich noch immer unkommentiert Wörter wie »Neger« oder Karikaturen, die schwarze Menschen in Überbetonung bestimmter körperlicher Merkmale zeigten, nackt und mit Knochen in den Haaren. Schwarzer Widerstand komme dagegen als Unterrichtsthema gar nicht vor. »Afrika wird in den Unterrichtsmaterialien als defizitär und quasi als ein Land begriffen«, so Gomis. Anteil daran hat auch das Lehrpersonal. »Die Frage ist, wer lernt was von wem und durch welche Brille wird auf die Welt geschaut«. Und was in der Schule beginnt, setzt sich an den Universitäten fort. Kant, Hume, Voltaire - Aufklärung und Rationalität gelten als Maßstab einer modernen Wissenschaft. Einer eurozentristischen allerdings, die sich als überlegen begreift, als Exportschlager der westlichen Welt. Für die Professorin Maisha-Maureen Eggers gilt Kolonialität daher auch in der Wissenschaft noch immer als Norm, sie gehört zum Selbstverständnis der westlichen Identität. »Wir müssen einen Weg finden, wie Wissenschaft Machtverhältnisse aufdecken kann, anstatt sie zu zementieren«, so Eggers. Vielleicht muss, nach Max Weber, Verwaltung nicht immer eine unmenschliche Maschine sein.

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