nd-aktuell.de / 12.12.2014 / Aus dem Netz gefischt / Seite 15

Krieg und Verschwörung

Jürgen Amendt

Vor Wochenfrist veröffentlichten 60 Prominente, darunter Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU), der frühere Chef der Münchener Sicherheitskonferenz Horst Teltschik (CDU), die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer (Grüne), der Filmregisseur Wim Wenders, der Schriftsteller Gerhard Wolf sowie weitere bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur unter der Überschrift »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!« einen Appell für eine »neue Entspannungspolitik« und einen Dialog mit Russland.

Hätte sich dieser für eine Neuausrichtung bei den Hartz-IV-Gesetzen ausgesprochen, den Initiatoren wäre eine Sonderberichterstattung von ARD und ZDF sicher gewesen. In den Hauptnachrichten der TV-Sender (auch der Privaten) spielte der Aufruf allerdings keine oder nur eine marginale Rolle. Das sei vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen ein Armutszeugnis, meint der Medienjournalist Stefan Niggemeier auf stefan-niggemeier.de. Er hat bei ARD und ZDF nachgefragt und eine Antwort erhalten, die sich in der Aussage zusammenfassen lässt, man habe keinen Platz gehabt und es habe wichtigere Themen gegeben. »Fast wünscht man sich, wenn man diese traurigen Erklärungen hört, dass es stattdessen wenigstens brutales Kalkül war, wie die hyperventilierenden Wutschnauber von der ›Propagandaschau‹ meinen, die in ARD und ZDF eh ›US-Propagandisten und Treiber des neuen Kalten Krieges‹ sehen sowie ›von einer transatlantischen 5. Kolonne unterwanderte Staatssender‹«, schreibt Niggemeier.

In den Printmedien wird der Aufruf mittlerweile allerdings wahrgenommen, wenn auch meist kritisch kommentiert. Die meisten der Kommentare sind davon geprägt, dass den Autoren des Appells mindestens Naivität gegenüber der russischen Seite im Ukraine-Konflikt attestiert wird. Manche werfen ihnen auch Feigheit vor. Der Historiker Bert Hoppe etwa schreibt auf faz.net, dass den Verfassern »die nackte Angst die Feder« geführt habe und »schon ein Übungsflug russischer Fernbomber über dem Atlantik« ausreiche, »damit deutschen Intellektuellen das Herz in die Hose rutscht«.

Hier zeigt sich ein Generationenkonflikt. Auf der einen Seite jene, die die Konfliktspirale im Kalten Krieg selbst erlebt haben (Politiker wie Teltschik haben daran sogar aktiv mitgedreht), auf der anderen Seite die Jüngeren (Hoppe ist Jahrgang 1970), für die der Kalte Krieg nur ein Kapitel Geschichte ist. Aus der Geschichte aber, so lehrt uns auch die derzeitige Debatte um die Ukraine und das Verhältnis zwischen der EU und Russland, können nur die eine Lehre ziehen, für die Geschichte Selbsterlebtes ist, die anderen sind verdammt, sie zu wiederholen.