Die Axt am Streikrecht

Kabinett beschließt Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die DGB-Gewerkschaften sind gespaltener Meinung zum Tarifeinheitsgesetz und am Ende wird wohl Karlsruhe entscheiden müssen.

Das Kabinett hat am Donnerstag den Entwurf für ein Tarifeinheitsgesetz beschlossen. Arbeitskämpfe konkurrierender Gewerkschaften wie derzeit bei der Deutschen Bahn sollen dadurch künftig unmöglich gemacht werden. Auch wenn das Reizwort bewusst vermieden wurde: Es handelt sich um den wohl schwersten Eingriff ins Streikrecht, den es in der Geschichte der Bundesrepublik je gab. Auch wenn die Vorlage in den nächsten Monaten wie geplant durchs Parlament kommt, sind weitere Auseinandersetzungen absehbar. Kern des von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Entwurfs ist, dass künftig bei einer »Kollision« verschiedener Tarifverträge nur noch der von der mitgliederstärksten Gewerkschaft geschlossene Vertrag gelten soll. Minderheitsgewerkschaften hätten damit keine legitimen Arbeitskampfziele mehr.

Beamtenbund (dbb) und Ärztegewerkschaft Marburger Bund haben bereits Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Der dbb-Vorsitzende Klaus Dauderstädt sagte der dpa, das Gesetz ziele darauf ab, »Arbeitskämpfe kleinerer Gewerkschaften dadurch zu untersagen, dass sie von Arbeitsgerichten stets als unverhältnismäßig, weil auf ein rechtlich unmögliches Ziel gerichtet, angesehen würden«.

Erklärtes Ziel des Entwurfs ist es, den Einfluss kleiner Gewerkschaften mit einer Schlüsselstellung an neuralgischen Punkten der Wirtschaft radikal zu beschneiden. Obwohl der DGB-Kongress im Frühjahr beschlossenen hatte, jede Einschränkung des Streikrechts zurückzuweisen, verteidigte DGB-Chef Reiner Hoffmann den Entwurf erneut. »Das Prinzip ›ein Betrieb, ein Tarifvertrag‹ hat sich über 40 Jahre in Deutschland bewährt. Dies wieder hervorzuheben, ist erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs«, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post«.

Auch der IG Metall-Vorstand begrüßte den Kabinettsbeschluss. »Damit bestimmen die im Betrieb Beschäftigten mit ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, welcher Tarifvertrag gilt«, sagte der Erste Vorsitzende der Metaller, Detlef Wetzel, in Frankfurt am Main. »Mit dem Mehrheitsprinzip ist geklärt, dass eine solidarische Tarifpolitik für alle Beschäftigtengruppen Vorrang vor Partikularinteressen hat.« IG Metall-Vize Jörg Hoffmann lobte insbesondere, dass es »gelungen« sei, »das Arbeitskampfrecht vom Gesetz unberührt zu lassen«.

Dieser Interpretation widersprach der Vorsitzende der anderen großen DGB-Gewerkschaft: Der Gesetzentwurf bedeute »indirekt, dass die Minderheitsgewerkschaft nicht mehr für einen eigenen Tarifvertrag streiken darf«, sagte ver.di-Chef Frank Bsirske der »Badischen Zeitung«. »Eine solche Einschränkung des Streikrechts schadet allen Gewerkschaften.« Gemeinsam mit GEW und NGG hat ver.di eine Unterschriftenkampagne gegen das geplante Gesetz gestartet. Bis gestern hatten fast 15 000 Unterzeichner die Petition unterstützt.

Kritik kam auch von juristischer Seite. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter und frühere Präsident des Bundesarbeitsgerichts Thomas Dieterich hält die Regierungspläne für verfassungswidrig. »Das Gesetz würde die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften eklatant einschränken. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar«, sagte Dieterich der »Berliner Zeitung«.

Konflikte dürfte es aber nicht nur vor Gericht geben, meint die Fachanwältin für Arbeitsrecht, Regina Glaser: »Es ist zu befürchten, dass das Gesetz die Verteilungskämpfe unter den Gewerkschaften anheizen wird, die es eigentlich gerade verhindern soll«, sagte die Düsseldorfer Juristin der dpa. Vielmehr sei mit neuen Machtkämpfen zu rechnen, bei denen »die Gewerkschaften durch verstärkte Mitgliederwerbung um ihre Existenz und ihren Einfluss kämpfen müssen«.

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