Heilige Musik aus Russland

Tscheljabinsker Kammerchor gastiert mit drei Konzerten in Berlin

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch »Kalinka« soll am Ende nicht fehlen. Vor allem aber widmet sich der Tscheljabinsker Kammerchor bei seinem Gastspiel in Berlin der religiösen Musik. Mehr als jede andere ist die orthodoxe Liturgie ja vom Gesang bestimmt: Stimmen erheben sich, beschwörend, jubelnd, flehend. Es ist eine Magie der Töne, die dem einzelnen etwas spürbar machen soll, das größer ist als sein begrenztes Leben. Wer schon einmal in einer russischen oder bulgarischen Kirche war, hat wahrscheinlich etwas vom alten Byzanz zu spüren bekommen. Glaube wird hier über das Erlebnis zelebriert, in überliefertem Ritus, gemeinschaftlich im Goldglanz der Ikonen. Und wenn man ins Freie tritt, ist man noch eine ganze Weile von Weihrauchduft umweht.

Mit solch prächtigem sakralen Ambiente kann Berlin für den Tscheljabinsker Kammerchor nicht aufwarten. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, wo am 15. Dezember, 19 Uhr, das erste Konzert stattfindet, bekam nach ihrer Zerstörung einen eher modern gestalteten Innenraum. Hier wird das Werk eines Komponisten im Mittelpunkt stehen, der hierzulande wohl erst noch zu entdecken ist: Alexander Gretschaninow, 1864 in Moskau geboren, verstorben 1956 in New York. Zu hören ist unter anderem die ergreifend schöne »Liturgia Domestica«, die er 1917 schrieb. Sie wird auf Altkirchenslawisch aufgeführt. »Cantate Domino« und »Et in terra pax« präsentiert der Chor in Latein.

Tscheljabinsk: eine Stadt mit über einer Million Einwohnern im südlichen Ural - mit neun Theatern, zahlreichen Museen und Kulturhäusern. Minus 20 Grad herrschen jetzt dort. Die Künstler werden wohl per Flugzeug angereist sein, aber von Berlin aus kann man Tscheljabinsk auch mit einer wöchentlich verkehrenden Kurswagenverbindung ohne Umsteigen in etwas über 72 Stunden erreichen. (Bis vor einiger Zeit durfte man hoffen, dass solche Reisen gen Osten einmal ohne Visum möglich sein würden, in der derzeitigen politischen Situation sieht das schlecht aus.)

Der Kammerchor wurde 1974 gegründet, im gleichen Jahr ist Olga Selesnjowa geboren, die seine Dirigentin ist. Ein Ensemble mit einem breiten Repertoire, doch kann man sich denken, dass geistliche Musik nach jahrzehntelanger Abstinenz in Russland jetzt besonders gefragt ist.

Alexander Gretschaninow hätte seine Freude gehabt an dem kulturellen Brückenschlag, der Besucher des Weihnachtskonzerts am 17. Dezember ab 20 Uhr im Großen Saal des Konzerthauses Berlin erwartet. Denn obgleich er in seinen Kompositionen ursprünglich der orthodoxen Tradition verbunden war, vertrat er inhaltlich die Idee einer Versöhnung zwischen allen christlichen Kirchen. Die »Petite Messe solennelle« von Gioachino Antonio Rossini (1792-1868) dürfte ihm nicht fremd gewesen sein. Aber es ist eine andere Art Kirchenmusik. Auf klangprächtige Weise vertonte der italienische Komponist den Text der katholischen Liturgie - eine »kleine Messe« von 90 Minuten -, und es finden sich, wie zu erwarten, auch manche Anklänge an sein Opernschaffen.

Schließlich - kann man es überhaupt Höhepunkt nennen nach diesen beiden beeindruckenden Abenden - am 18. Dezember eine Einladung in die Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Straße 65 in Berlin-Kreuzberg zu einem durch und durch russischen Konzert. Dabei sei jenen gesagt, die der Sprache nicht mächtig sind: Die »Russischen Gebete« im ersten Teil des Konzerts entsprechen oft wortgenau den Psalmen, wie viele sie auf Deutsch kennen. Aber Musik, Gesang scheinen viel eindringlicher zu sein. Gänsehaut ist garantiert beim »Otche nasch«, dem »Vaterunser«, das es in zwei verschiedenen Vertonungen zu hören gibt. Interessant, dass der oder das »Böse« am Schluss, vor dem man behütet sein will, im Russischen »lukavy« heißt, das Verschlagene, das Listige, das Trickreiche. Wie sich das Böse maskiert, das scheint in der anderen Sprache viel deutlicher zu werden.

Mit russischen Volksliedern klingt der Abend aus. Immer wieder wird da die weite Steppe besungen, die etwas Erhabenes, aber im Winter auch etwas Grausames hat. Jemand kann dort erfrieren und schickt in Gedanken ein Lied zu seinen Lieben. Aber es gibt auch viel Heiteres, Lieder, wie man sie gemeinsam auf den Dörfern sang und die mancher noch in der Interpretation des Alexandrow-Ensembles kennt. Und »Kalinka« eben auch.

Tickets (Konzerthaus 20 Euro, Kirchen 12 Euro) zu bestellen über die Ticket-Hotline 01806 999 0000.

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