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Steigbügel des Bösen

Freitags Woche

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Verlogenheit des Menschen zeigt sich besonders zu Weihnachten. Abermillionenfach missbraucht er das Kirchenfest zum Konsumrausch und holt im Dezember nach, was dem Rest des Jahres an Menschlichkeit fehlt. Wenn dann aber auch noch ausgerechnet die »Bild« den Taktstock des Mitgefühls schwingt, ist das Maß voll. Fast. Denn überlaufen tut es erst dann nachhaltig, wenn das Ballermannblatt wie vor acht Tagen sein angebliches »Herz für Kinder« stundenlang im ZDF preisen kann.

Als wäre das nicht genug, durften obendrein gewissensfreie Profitriesen wie Coca Cola (angeblich) kostenlos dauerwerben, was einen Sendersprecher auf Nachfrage - nein, nicht Demut entlockte, sondern folgende Selbstverteidigung: »Der gemeinnützige Zweck ist im Vorfeld der Sendung geprüft und positiv beantwortet worden«. Zur Erklärung verwies er auf eingehaltene Werberichtlinien, verdrängte aber, dass es diese Art opportunistischer Hofierung ist, die dem Bösen seit jeher höflich die Steigbügel hält.

Gejagt wird es, also das Böse, ab 2016 übrigens nicht mehr von Klara Blum, wenn das ödeste aller Tatort-Teams endlich abtritt. Apropos - war da nicht noch ein Abritt. Nein, nichts besonderes. Abgesehen vom Ende der Ära »Wetten, dass…?«, der Markus Lanz am Samstag ein letztes Mal mit nostalgischen Rückblicken auf bessere Zeiten gewürzt auf die ausgetretene Schleimspur geholfen hat, ohne noch ein allzu tiefes Loch zu hinterlassen.

In dem wähnte sich drei Jahre auch das Publikum süffigen Emotainments, seit der Fernsehkuppelvater schlechthin »Nur die Liebe zählt« verlassen hat. Dienstag nun wird Kai Pflaume durch Wayne Carpendale ersetzt. Da lässt also nicht nur der Sendeplatz Scheußliches befürchten. Da wünscht man sich doch wirklich mal die öffentlich-rechtliche Nüchternheit, mit der zum Beispiel Caren Miosga und Thomas Roth den Jahresrückblick 2014 am Montag im Ersten moderieren. Sachlichkeit können sie halt doch mehr als Unterhaltung. Deshalb wollen wir an dieser Stelle auch nicht den zweiten »Tatort« aus Erfurt empfehlen, dessen Thema gewohnt bieder suggeriert, es gebe in Thüringens Hauptstadt allen Ernstes ein Rotlichtviertel. Und schon gar nicht den »Bergdoktor«, mit dem der heillos unterforderte Kabarettist Hans Sigl parallel dazu in neuer Staffel auf ZDF-Seife ausglitscht.

Wir wenden uns lieber Arte zu. Dienstag um 20.15 Uhr läuft dort passend zur aktuellen Entwicklung im Fall Snowden die tolle Doku »Schweig, Verräter!«, in der das Phänomen der Whistleblower unter die Lupe genommen wird und warum vor allem die USA so große Angst vor ihnen haben. Oder 3sat, wo Wolfgang Beltracchi am Samstag (22 Uhr) Christoph Waltz vorstellt. Nach fünf Folgen ist die Porträtreihe damit beendet. Dabei hätte sie mindestens die Zehnfache Zahl verdient. Wie Stefan Raab, der sich Samstag auf ProSieben zum 50. Mal (nicht) schlagen lassen will, dafür aber hoffentlich weniger als die sechs Stunden und neun Minuten vom 49. Versuch benötigt.

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