Wider die Ordner der Welt

Premiere im Berliner Ensemble: »Es wechseln die Zeiten« - eine Revue durch Brechts Stücke in Liedern und Gedichten

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Brecht, wer ist das? Einst gefürchtet, verboten und gepriesen, heute (und schon vorher) angepinkelt und vergessen? Seine Stücke und Verse, Prosa und Reden kaum tauglich für den Zug der Jetztzeit? Die Revue in der Regie von Manfred Karge belehrte eines Besseren. Sie erinnerte an B. B. nicht nur, sie erhellte, wie viel Saft in dessen Dichtung noch steckt. War das nicht einer, so genialisch, dass ihn nichts anderes als die Lektüre der Bibel und die Ideen von Marx und Lenin treffen konnten? Mensch hohe Geistes, poetisch beschlagen, antiromantischer Liebhabertyp, Hauspostillion? Einer, der den selbst erlebten Krieg nicht nur hasste, sondern dessen Elend dem Bewusstsein der Soldaten und deren Weibern poetisch entriss? Der in unregelmäßigen Versen die schändliche bürgerliche Regelmäßigkeit unterlief? Der nicht anders konnte, als Sand zu sein im Getriebe der ihn umgebenden Verhältnisse? Der jene Lieder eben nicht sang, welche die Ordner der Welt erwarteten? Sondern ganz eigene, solche, die den »wechselnden Zeiten« ihren Stempel aufdrückten?

Eine Schauspieler-Truppe betritt die Bühne. Ihr Rückzugsgebiet liegt rechts, ein Tisch mit Stühlen. Ihre Mitglieder sitzen und treten abwechselnd nach vorn, sie dürfen rauchen. Links bis Mitte das Aktionsfeld der Musiker: Piano, Akkordeon, Saxofon, Bassklarinette, Trompete, Schlagzeug. Manfred Karge ist der Moderator. In Paris hätte die Truppe diese Revue auf Wunsch des Théatre de la Ville geboten, sagt er vorweg, und dankbarsten Zuspruch erfahren. Deswegen der Entschluss, sie auch dem Berliner Publikum zu präsentieren. Das füllte den Saal bis zum letzten Platz.

Die schwarze Bühne wirkte wie ein Grab. Sollte etwas aus der Versenkung heraufkommen? Die Darsteller und Musiker trugen ausschließlich schwarz-weiße Klamotten, erste Qualität. Ein Harmonium fehlte, desgleichen ein Priester. Bedeutend, was da oben aus dem Grab erschallte. Einzelnummern fädelte die Revue genauso auf wie chorisch-solistisch arrangierte Lieder und Texte aus Brechtstücken wie andere Materialien (»Flüchtlingsgespräche«). Das ging streng chronologisch zu, von »Der böse Baal« bis »Die Tage der Kommune«.

Martin Schneider, Klampfe in den Händen, wies mit dem »Choral von Manne Baal«, Musik vom Dichter selbst, auf den anarchischen frühen Brecht, dessen Theater klüger war als das der Chaos-Truppen im heutigen Berlin. Rauchig-rotmundig sang Ursula Höpfner-Tabori Brecht/Weills Nummer aus dem »Mahagonny-Songspiel« »Ach, bedenken Sie, Herr Jakob Schmidt«. Keine reine Solonummer. Feilscht die Hure vorsichtig bittend um Dollars, haut die Puffmutter verbal dazwischen. Den »Mackie Messer Song« singt gleichfalls kein Einzelner, sondern mit Vehemenz die vier Damen des Abends (mit Claudia Burckhardt, Karla Sengteller, Katharina Susewind und der genannten Ursula Höpfner-Tabori). Weills berühmten »Kanonensong« aus der »Dreigroschenoper« reizten Veit Schubert und Martin Schneider mit den Musikern artikulatorisch und dynamisch maximal aus. Durchaus hörenswert: Katharina Susewinds »Seeräuberjenny« aus derselben Oper zwar, doch das vertrackt gesetzte »Lied von der belebenden Wirkung des Geldes« (»Die Rundköpfe und die Spitzköpfe«) missglückte ihr intonatorisch etwas. Groß das »Lied von der Wehrlosigkeit der Götter« (»Der gute Mensch von Sezuan«) mit seinem radikalen Finale: »Warum stehn die Götter den Guten nicht bei mit Tanks und Kanonen«. Karla Sengteller begann es zärtlich, führte es beklommen fort und beendete es in einem Anfall wilden Schreiens. Ähnlich die »Resolution der Kommunarden« (»Die Tage der Kommune«) mit dem Aufruf, die Unterdrücker seien mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Die rebellische kollektive Umsetzung erhielt den meisten Beifall.

Unbestritten: »Es wechseln die Zeiten«. Bisweilen wechseln sie im Kreise. Unselige Zeiten kehren wieder. Karges Projekt warnt. Hände weg von Russland. Schlagende Zeugnisse einmal »Und was bekam des Soldaten Weib?« aus »Schweyk im zweiten Weltkrieg« - das gesamte Ensemble kreierte diesen mahnenden Song aufs Eindringlichste. Zum anderen das »Deutsche Miserere« aus dem selben Stück, scharf adressiert von den vier Darstellern des Abends (neben den schon genannten die Schauspieler Jörg Thieme und Stefan Schäfer). Originell gemacht das »Hört, der große Lukullus ist gestorben« aus »Das Verhör des Lukullus«. Eine Stimme berichtet über die große Trauer Roms um den blutbefleckten Feldherrn, während vier Männer so tun, als trügen sie den Sarg auf ihren Schultern.

Ein Lob auch der Musik und dem Ensemble. Manche der Stücke sind wahrlich nicht leicht umzusetzen. Tobias Schwencke spielte nicht nur sehr flexibel das Piano und dirigierte umsichtig, er steuerte auch eigens geschaffene Musiken und Arrangements bei.

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