Geburtstagsparty für Sheetal

Vor einem Jahr wurde die junge Inderin vergewaltigt und unter einen Zug gestoßen, wodurch sie beide Beine verlor. Auch Dank vieler nd-Leser kann sie wieder laufen

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 3 Min.

Im September 2013 wurde die Inderin Sheetal in Rajasthan von drei Männern entführt und vergewaltigt und unter einen Zug gestoßen, wodurch sie beide Beine verlor. Dank vieler Spenden, auch von nd-Lesern, kann sie heute wieder laufen.

Von Hilmar König, Delhi

»Happy Birthday, Sheetal« steht in großen bunten Buchstaben über dem Eingang zur Mensa der Schule, die Sheetal seit Anfang des Jahres besucht. Heute wird sie 20 Jahre alt, zum ersten Mal im Leben feiert sie ihren Geburtstag, denn ihre Familie konnte sich so etwas nicht leisten. Ein Spender aus Berlin hat für diese Party extra 50 Euro überwiesen. Ihre Mitschülerinnen und viele andere Gäste sitzen auf einem Teppich in der Mensa und warten auf Sheetal. Auf einem Tisch stehen 20 zu einem Herzen geformte Kerzen sowie Getränke, indische Köstlichkeiten - und ein Weihnachtsstollen. Besucher aus Deutschland haben sie mitgebracht.

Als die junge Frau eintrifft, brandet Beifall auf, der erst endet, als sie vor ihrem Geburtstagstisch steht. Sie trägt ihr Haar offen, Mitschülerinnen haben sie geschminkt, auch das ein Novum in ihrem Leben. Von zwei Mädchen eskortiert, bewegt sie sich behutsam auf ihren Prothesen vorwärts. Ein Mädchen flüstert: »Sie sieht aus wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht.«

Mit einer Hand hält sich Sheetal an der Tischkante fest, mit der anderen schneidet sie sichtlich gerührt den Stollen an. Noch nie im Leben hat sie so im Mittelpunkt gestanden. als die Gäste »Happy Birthday, dear Sheetal« anstimmen, rinnen ihr Tränen über über die Wangen,.

Erst gut ein Jahr liegt das Verbrechen zurück, das ihr Leben für immer veränderte. Gerade jetzt kommen die Bilder wieder verstärkt hoch. Schmerzen erinnern jeden Tag an das Unfassbare. »Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages zu den Schwestern Nirbhayas gehören würde«, erzählte sie. Und meint damit die bestialische Gruppenvergewaltigung einer Studentin in einem Bus in Neu-Delhi am 16. Dezember vor zwei Jahren. Das Opfer überlebte nicht. »Ich bin zwar mit dem Leben davongekommen, aber sie haben mich verstümmelt und für immer zu einer Behinderten gemacht« sagt Sheetal .

Schluchzend schneidet sie die Stolle in mehr als 100 kleine Stücke, damit jeder wenigstens eine Kostprobe davon bekommt. Dann setzt sie sich erschöpft auf einen Stuhl. Die Mitschülerinnen haben ein Programm für sie gestaltet mit Musik, Gesang, Gedichten und Tanz. Und sie haben noch eine ganz besondere Überraschung. Bei einer früheren Begegnung hatte die bescheidene junge Frau indirekt einen Wunsch geäußert: »Wenn ich auf Prothesen stehe, könnte ich auch wieder einen Sari anziehen. Im Rollstuhl geht das überhaupt nicht.« Dass sie gar keinen Sari besaß, erwähnte sie nicht. Wie strahlt sie, als ihr die Gratulanten neben zahlreichen anderen Geschenken einen Sari überreichen, in Pink, ihrer Lieblingsfarbe. Und ein gerahmtes Foto, auf dem sie als hübsche 17-Jährige zu sehen ist. Stolz lässt Sheetal es durch die Reihen gehen, die Erinnerung an eine Zeit, da sie schöne lange schlanke Beine hatte. Sie genießt die anerkennenden Kommentare, ohne Wehmut zu zeigen.

Die Kerzen sind fast abgebrannt. Sheetal bläst sie mit zwei kräftigen Pustern aus. Alle bleiben sitzen, bis die »Prinzessin aus 1001 Nacht« die Mensa verlassen hat. Ein paar Minuten später gibt's noch eine Überraschung für die Jubilarin: ein kleines Feuerwerk und ein Sprechchor aus 100 Kehlen: »Sheetal sindabad!« Hoch lebe Sheetal.

Am nächsten Tag, an dem sie sich erstmals im neuen Sari zeigt, sagt sie: »Das war gestern ein Höhepunkt in meinem Leben. So etwas hatte ich nicht erwartet.« Und dann schreibt sie für die Leser, die mit ihren vielen Spenden mitgeholfen haben, dass wieder laufen und zur Schule gehen kann, ihren Dank nieder.

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