Rückwärts ging es besser vorwärts

»Das wundervolle Zwischending« im Theater unterm Dach

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Anne und Johann drehen eine Runde. Eigentlich drehen sie einen Film. In ihrer Wirklichkeit kommen sie jedoch wieder dort an, wo sie gestartet waren. Ihre langjährige Beziehung brachte sie an die berüchtigte Soll-das-alles-gewesen-sein-Weiche. Wo geht es jetzt lang? Eigentlich haben sie sich schon alles gesagt.

Rituale spielten sich mit den Jahren ein. Anne schätzt die Sicherheit. Männer vor dieser Beziehung hatte sie vorsichtshalber nach Ungefährlichkeit ausgesucht. Johann hadert mit seinem »emotionalen Haushalt«. Nun vereint sie das, was einmal war: die Sehnsucht nach der jungen, der frischen Liebe. Und »Das wundervolle Zwischending«, das sie noch zusammenhält. Von Glück ist nicht die Rede. Sie sind zufrieden. Ja. Langweilig. So ist ihr Resümee.

Stephan Thiel inszenierte »Das wundervolle Zwischending« von Martin Heckmanns im Theater unterm Dach in Prenzlauer Berg. Neunzig Minuten wird intensiv eine Liebe untersucht - oder das, was aus ihr wurde. Das Komplizierte, das Facettenreiche an Liebesbeziehungen ist ein Spezialgebiet des Dramatikers Heckmanns. Es packte ihn schon Ende der 90er Jahre in seinem ersten Stück »Finnisch Oder ich möchte dich vielleicht berühren«. Mit der Lebensnähe und den vielen Fragen, die mit dem Zusammenleben zweier Menschen verbunden sein können, trifft er den Nerv. Manchmal kitzelnd, mitunter schmerzhaft. Ebenso interessant ist die Hinwendung des Regisseurs Thiel zu Konflikte verarbeitenden Gegenwartsautoren. Er inszenierte auch »X-Freunde« von Felicia Zeller im Theater unterm Dach. Anfang des neuen Jahres ist es dort ebenfalls wieder zu sehen.

Hannah von Peinen und Christoph Schüchner spielen in der »Zwischending«-Produktion Anne und Johann. Das Paar will sich mit künstlerischem Engagement aus seinen Zweifeln hangeln. Sieben Tage soll ihr Filmprojekt über sie und ihr Leben der vergangenen sieben Jahre behandeln. Da sind sie das »normale« Paar in Kleidung, die man sich zu Hause überstülpt. Diese Welt verlassen sie kaum, üben sich leidenschaftlich gern in Posen, darin, in verschiedenste Rollen zu schlüpfen. Sehnsucht führt Anne zu der Frage, warum alles eigentlich immer vorwärts gehen muss, warum nicht mal rückwärts. Es war doch so schön.

In der spartanischen Ausstattung von Sabine Schmidt agieren die beiden Schauspieler dementsprechend natürlich tragikomisch. Zur räumlichen Nähe erreichen sie durch ihre überzeugend dargestellte, von Problemverdrängung erzählende Spielweise auch die emotionale Nähe zum Publikum. Es ist willkommener Voyeur. Die beiden erscheinen vertraut - wie sie sich da gegen das Versiegen von Liebe hilflos anstrengen. Sie könnten Nachbarn sein, Freunde.

Solche kommen im Stück nicht vor. Dafür der von Silvio Hildebrandt verkörperte Mann vom Amt, der Kraft seiner Wassersuppe die Lebensleistung der zwei ALG-II-Betroffenen überprüfen und angeblich Hinweisen von imaginären Nachbarn nachgehen will. Das Filmprojekt weckt seine Eitelkeit. Er will auch Künstler sein. Nun wird es grotesk, zumal die Rolle, gut gespielt, Diabolisches einbringt. Johann findet den Möchtegernkünstler schließlich in Annes Bett. Alles für den Film. »Guten Morgen. Das ist Bertram. Er ist dein Gegenspieler. Ich habe ihn eingewiesen.«

Das Publikum bedankt sich herzlich applaudierend. Für ein Spiel, das ihm einen Spiegel vorhält und durchaus das Zeug hat, Wunden zu reißen. Aber lächelnd. Ist ja alles Theater.

Nächste Vorstellungen: 10., 11.1., Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzl. Berg, Tel.: (030) 902 95 38 17, www.theateruntermdach-berlin.de

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