Treten, kratzen und beißen in brauner Brühe

Freiwasserschwimmerin Angela Maurer über die Faszination ihrer Sportart

  • Lesedauer: 4 Min.
Angela Maurer kam als »Spätentwicklerin« zum Freiwasserschwimmen. 1996 wechselte sie mit 21 Jahren vom Becken ins Freiwasser. »Das war meine sportliche Volljährigkeit« witzelt die Wiesbadenerin. Dass die 10-km-Wettbewerbe 2008 in Peking olympische Premiere feierten, verlängerte die Karriere der beamteten Polizeikommissarin über das ursprünglich gedachte Ende hinaus. In Peking wurde sie Vierte, in London Fünfte – das ersehnte olympische Edelmetall also fehlt ihr noch neben all den Titeln und Medaillen bei EM, WM und im Weltcup, den sie gleich viermal als Gesamterste beendete. Also entschied die Hessin im Vorjahr: Auf nach Rio! Derzeit schrubbt Maurer Kilometer für den 2015er Weltcup-Neustart am 8. Februar in Argentinien. Mit Klaus Weise sprach die 39-Jährige über Erfolge, Erfüllung, Selbstwertgefühl und Vorbilder.

nd: Umgangssprachlich kann man Ihre Sportart auch mit dem bekannten Spruch »Das Leben ist kein Ponyhof!« umschreiben. Bei Ihnen werden es bald 20 Jahre, dass diese Tortur fester Bestandteil Ihres Daseins ist. Warum tun Sie sich das an?
Maurer: Zuallererst: Ich mache es freiwillig und, Sie werden es nicht glauben, aus Spaß. Klar, das ist kein Sport wie jeder andere. Aber das macht auch einen großen Teil seiner Faszination aus. Diese Faszination setzt sich aus vielen Bausteinen zusammen. Es gibt, gebe ich zu, Momente höchster Anstrengung und Belastung, wo man in brauner Brühe Tritten, Kratzen, Bissen ausgesetzt ist. Aber dagegen stehen der Kampf Frau gegen Frau, das geografische Umfeld, die Auseinandersetzung mit dem körperlichen und geistigen Ich, die Überwindung eigener Grenzen, der Sieg über sich selbst. Ich habe mir ein altes russisches Sprichwort zum Motto gemacht: Wer auf dem Meer gewesen ist, scheut sich nicht vor Pfützen!

Rechnet man Ihre Wettkampf- und die Trainingskilometer der vergangenen Saison zusammen, welches Resultat kommt da für 2014 heraus?
Im Wettkampf etwa einhundert Kilometer, also gar nicht mal so erschreckend viel. Im Training werden es laut Athletenbuch um die 3650 Kilometer.

Bei fast 20 Jahren im Freiwasser macht das nach Adam Riese also ….
20 mal ungefähr 4000 km käme in etwa hin, aber schematisch kann man das nicht rechnen. Dafür verlaufen die Jahre zu unterschiedlich. Ich bin zudem 2006 Mutter von Maxim geworden. Ein Erlebnis schöner als jeder Sieg. Doch 2007 war ich schon wieder im Wasser und Europameisterin. Vor anderthalb Jahren - so meine persönliche Statistik - hatte ich rund 60 000 Kilometer im Wasser auf dem Buckel. Heißt: da war ich schon anderthalb mal um die Welt geschwommen.

Und hatten Spaß dabei ...
(Lacht) Wer Probleme hat, mal nur 400 Meter zusammenhängend zu kraulen, wird es sich nicht vorstellen können. Und der Spaß ist ja auch keiner von der Art, bei dem man sich vor lauter Jux und Tollerei gar nicht wieder einkriegt. Er ist einer der erfüllenden Art, den man nicht über bekommt, weil er etwas mit Selbstwertgefühl zu tun hat. Wenn der geflossene Schweiß und vielleicht sogar Tränen durch Erfolg abgegolten und getrocknet werden, ist man einfach nur froh und glücklich. Ich bin zudem immer neugierig geblieben: auf andere Länder, Kulturen, und vor allem andere Menschen. In all dem steckt der Spaß.

Und der hat nun drei Ziel-Buchstaben: Rio ist Ihr ganz großer Traum.
Stimmt! Diese Herausforderung nicht angenommen zu haben, das würde ich mir garantiert später einmal vorwerfen. Bei meinem dritten Olympiastart bei Bedingungen, wie ich sie mag, offenes Meer und Wellengang, nach Rang vier und fünf in Peking und London eine Medaille zu erringen - das wär’s. Dafür will ich noch mal richtig ranklotzen.

Sie sind mit dem einstigen russischen Klasseschwimmer Nikolai Evseev verheiratet, der auch Ihr Trainer ist. Keine einfache Konstellation, oder?
Ja, es ist schwer, abzuschalten. Nach dem Weltcupfinale in Hongkong waren erst mal drei Wochen Urlaub fällig, zwei davon waren wir als Trio mit Maxim auf Lanzarote. Das war mal echtes Faulenzen, ohne viel Sport und Bewegung, ohne Schwimmen. Dann ging’s wieder los. Nachlässigkeit beim Schaffen der Grundlagen rächt sich. Am 8. Februar steigt in Argentinien der erste Weltcup des neuen Jahres. Und im Sommer steht mit der WM in Kasan die erste Vergabe von Quotenplätzen für Rio an. Dafür muss man unter die besteh Zehn kommen.

Ist ein optimaler Formaufbau abgesichert?
Was ist optimal? Mit der Polizei als Arbeitgeber habe ich Bedingungen wie in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Das schafft eine gewisse Freiheit. Wenn es die Zeit erlaubt, lasse ich mich auf meiner Dienststelle sehen, wenn nicht, dann hat der Sport das Prä. Ohne diese Sicherheit ginge gar nichts, von den Einnahmen durch das Schwimmen allein kann man nicht leben. Und Nikolais Arbeit als mein Trainer wird nicht bezahlt.

Welche Menschen sind für Sie Vorbilder?
Generell solche, die nicht nur außergewöhnliche Talente und Begabungen haben, sondern die diese auch nutzen, entwickeln und bewusst damit umgehen.

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