Ans Licht geholt

Fragment von Seghers

  • Wilfried Mommert
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein bisher unveröffentlichtes Dramenfragment von Anna Seghers (1900-1983) mit dem Titel »Die Feier« ist jetzt von der Zeitschrift »Sinn und Form« an das Licht der Öffentlichkeit geholt worden. Die von der Berliner Akademie der Künste herausgegebene Zeitschrift veröffentlicht in ihrer jüngsten Ausgabe Auszüge aus dem fragmentarischen Manuskript mit einer ausführlichen Vorbemerkung der Germanistin Ute Brandes, Mitherausgeberin der Anna-Seghers-Werkausgabe.

Seghers (»Das siebte Kreuz«), die im April 1947 aus dem Exil nach Berlin zurückgekehrt war, beschreibt in der »Feier« eine Gruppe von Flüchtlingen oder Umherirrenden in einem Bunker in Berlin vor, während oder nach dem Krieg. Die Rahmenhandlung spielt in der Nacht zum 7. November 1947, dem 30. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution. Die Autorin stelle die Menschen realistisch dar in all ihrer Widersprüchlichkeit und lasse offen, ob sie für einen Neuanfang bereit sind, meint Brandes in der Zeitschrift »Sinn und Form«.

Seghers wolle nicht jene sozialistische Perspektive aufzeigen, die in der sowjetischen Besatzungszone damals kulturpolitisch erwünscht war. »Die Menschen haben Angst, sich auf Versprechungen einzulassen, erzählen von schwer zu beschaffenden Papieren, von ihren Hoffnungen auf ein besseres Leben im Westen oder im Osten« (eine Mutter will »endlich raus aus der Zone«). Verlust, Enttäuschung und Verwirrung herrschen vor (»Wir haben doch alles verloren: Unser Land, unser Haus, unser Geld.«) Einige Szenen haben Titel wie »Nachtasyl«, »Wartesaal« oder »Die Fahne«.

Verglichen mit anderen Texten der Zeit ist das Fragment nach Einschätzung von Brandes eher der »Trümmerliteratur« als dem sozialistischen Realismus zuzurechnen und zeige eine verblüffende Nähe auch zu Wolfgang Borchert oder Heinrich Böll. Seghers hatte zunächst mit einer Aufführung am Deutschen Theater in der Schumannstraße in Berlin, der früheren Bühne von Max Reinhardt, gerechnet, wo ihr Freund Wolfgang Langhoff seit 1946 Intendant war. Seghers gab ihm ausführliche Bühnenanweisungen. Warum es zu keiner weiteren Zusammenarbeit kam, ist laut Brandes nicht bekannt. Die zweite, überarbeitete Version des Dramenfragments umfasst über 40 Seiten. dpa/nd

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