Irrsinn an den Devisenmärkten

Eine weitere Eskalation der Lage in Russland könnte zu wirtschaftlicher Abschottung und Nationalismus führen

  • Heiner Flassbeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Die russische Wirtschaft schlittert angesichts sinkender Ölpreise, des Rubelkursverfalls und der Sanktionen in die Krise. Der Westen sollte sich nicht die Hände reiben, sondern auf Kooperation setzen.

Wir erleben gerade, wie der Westen das Ende dessen vorantreibt, woran er selbst einige Jahrzehnte lang hartnäckig gearbeitet hat: die Schaffung eines offenen, globalen Wirtschaftssystems. Was derzeit in Russland und der Ukraine geschieht, wird sich bitter rächen, weil der Westen mit seiner Sanktionspolitik in Verbindung mit dem Rückgang des Ölpreises und dem dramatischen Fall des Rubelkurses eine Eskalation der Lage hinnimmt, die sich in beiden Ländern nur in einer unkontrollierbaren Explosion des Nationalismus entladen kann.

Die drastische Anhebung der Leitzinsen in Russland von elf auf 17 Prozent sollte ein Alarmsignal ersten Ranges sein. Der Rückgang des Ölpreises in Verbindung mit dem Verfall des Rubelkurses hat ein Ausmaß erreicht, bei dem die russische Regierung versucht, mit Panikmaßnahmen über die Runden zu kommen. Das ist extrem gefährlich, weil die nächste Maßnahme die völlige Abschottung des russischen Geldsystems vom Westen sein muss. Wer diesen Schritt geht, ist auch politisch auf dem Weg in die Abschottung.

Man kann sich vorstellen, wie viele im Westen sich klammheimlich die Hände reiben ob der Wucht der Ereignisse, die Russland derzeit treffen. Der Rückgang des Ölpreises trifft die Wirtschaft, aber auch den Haushalt direkt, weil der Staat abhängig ist von den Einnahmen des Ölexports. Die Abwertung des Rubels, die sich in immer größerem Tempo vollzieht, lässt die Devisenreserven der Zentralbank dahinschmelzen und zwingt sie - solange man nicht zu einer vollständigen Kontrolle der Finanzbewegungen und der Devisenströme übergeht -, die Zinsen in einer Situation zu erhöhen, in der dem Land ohnehin eine Rezession droht. Ist das die Entwicklung, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bewegt, die Krim zurückzugeben und auch sonst alles zu tun, was der Westen, unterstützt von den wirtschaftlichen Sanktionen, von Anfang an verlangt hat?

Wer das hofft, ist ungeheuer naiv. Natürlich wird Russland genau das nicht tun, sondern sich zunehmend abkapseln. Dem Rubelverfall mit Zinserhöhungen zu begegnen, ist brandgefährlich bei einer sich schnell verschlechternden wirtschaftlichen Lage. Selbst wenn es kurzfristig gelingen sollte, mit den hohen Zinsen Zocker anzulocken, kann man die Lage Russlands damit nicht stabilisieren. Denn diese Gelder werden so schnell wieder verschwunden sein, wie sie kommen. Folglich muss Russland früher oder später zu einer strengen Devisenbewirtschaftung übergehen. Russland wird nämlich nicht, wie das Entwicklungsländer in dieser Lage üblicherweise tun, den von den USA kontrollierten Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Hilfe rufen. Devisenbewirtschaftung und systematische Einschränkung des Handels mit dem Westen sind aber genau die Schritte in Richtung Abschottung, auf die in Russland nationalistische Kreise weit rechts von Präsident Putin nur warten.

Dass das wirtschaftlich erfolgreich sein wird, ist nicht wahrscheinlich. Folglich wird man lange herumexperimentieren, ohne eine wirkliche Lösung zu finden. Aber das Scheitern wird den Nationalismus nur weiter stärken, da für jeden Fehlschlag der Westen politisch verantwortlich gemacht werden kann. Nicht anders als bei uns, wo es gelingt, mit der lächerlichen Fiktion einer drohenden Islamisierung Tausende von unzufriedenen Bürgern jede Woche auf die Straßen Dresdens zu bringen, kann man das Volk mit Verweis auf einen »Feind von außen« über jede eigene Fehlleistung hinwegtäuschen.

In der Ukraine ist trotz vorübergehender Anbindung an den Westen die gleiche Richtung vorgezeichnet. Ein politisch in seinen Grundfesten erschüttertes System, dem neoliberale »Reformen« aufgedrängt werden, die für Jahre ähnlich verheerende Wirkungen wie in Südeuropa haben dürften, kann jederzeit in Richtung Nationalismus abdriften, ohne dass der Westen dann noch irgendetwas dagegen unternehmen könnte. Es war von vorne herein klar, dass man mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen ein Russland, das seine Eigenständigkeit verteidigt, nichts erreichen kann außer einer Verschärfung des Konflikts. Der Westen hat mit seiner hochmütigen »Sanktionspolitik« eine Lawine ins Rollen gebracht, die ohne Schaden kaum mehr aufzuhalten sein wird. Gerade jetzt, wo der Rückgang des Ölpreises und der spekulativ angefeuerte Verfall des Rubelkurses den wirtschaftlichen Druck auf die russische Regierung dramatisch verschärfen, würde eine kluge Politik des Westens einen Schritt zurücktreten und ein Angebot für neue Formen der Kooperation machen.

Auch Russland ist Teil der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern. Wenn das Kommuniqué des letzten G20-Treffens in Australien nicht in den Wind geschrieben war, müsste man Russland zumindest bei der Stützung des Rubelkurses auf einem niedrigen Niveau entgegenkommen und den Irrsinn an den Devisenmärkten stoppen. Kluge Politik ist aber weit und breit nicht zu sehen. Wer sich jetzt die Hände reibt, wird sich am Ende die Augen reiben angesichts des Schadens, den er selbst mit angerichtet hat.

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