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Ein Essay über das Sehen

Das C/O Berlin im Amerika Haus am Bahnhof Zoo: Auftakt mit vier Ausstellungen

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Junge Leute mit peppigen Haarschnitten und stylischen Sonnenbrillen lachen in die Kamera, und das Objektiv fängt auch ein, wie Jungs im Strandbad Wannsee um die Wette tauchen. Andere Bilder: Ruinen in der Wilhelmstraße, Pferdefuhrwerke, eine überbesetzte Vespa als Shuttle zu Spreebootstouren, dann sowjetische und amerikanische Panzer am Check Point Charlie. Es sind Schwarz-Weiß- Fotografien vom Wiederaufbau in den Fünfzigern mit einer Leica vom Amerikaner Will McBride (geb. 1931, St. Louis, Missouri) eingefangen, der dieser «fiebrig widersprüchlichen» Stadt zuerst mit Staunen begegnete und schließlich fasziniert war. Es seien Bilder, die noch immer starke Emotionen vermitteln, erklärt Kurator Felix Hoffmann.

Schwenk in den nächsten Ausstellungsraum. Hier sieht man Ernesto Che Guevara mit seiner Zigarre im Mundwinkel. Es ist das bis heute populäre Bild, welches seinerzeit schon als Statement und Kult in Studentenbuden hing. René Burri hat es 1963 in Havanna aufgenommen. Fotos erzählen Geschichte. Auch die ihrer Rezeption, Ikonenbildung - und Vermarktung. Das ganze Haus ist als ein Essay über das Sehen arrangiert. Es ist ein gelungener Einstieg in die neue Ära nach zweijähriger Schließzeit und dem Umzug aus Mitte nach Charlottenburg.

Das Amerika Haus am Bahnhof Zoo ist selbst eine Legende. Mit Orange und Türkis und der nun offenen Glasfront samt Café zur Hardenbergstraße präsentiert sich das restaurierte Gebäude und offeriert den Beginn der besseren Zeiten. Denn jahrelang herrschten Stillstand und Ratlosigkeit. Obdachlose lümmelten auf den grauen Terrassenplatten, und Passanten zuckten mit den Schultern, wenn man nach dem Amerika Haus fragte. Geschichte goes! Immerhin galt das Gebäude, vom Architekten Bruno Grimmek in den Fünfzigern mit Marshallplanmitteln erbaut, als ein kulturelles Highlight im Nachkriegswestberlin, genau dort platziert, wo die Nazis zuvor ihre Propagandakunst zeigten und dazu geschaffen, den Deutschen die Augen für eine demokratische Kultur zu öffnen. Richtung Osten wollte man mit dem amerikanischen Way of Life werben. Das moderne Haus fungierte als kulturelle Begegnungsstätte mit Bibliothek und konnte auf Gäste wie Willy Brandt, John F. Kennedy und auf Ausstellungen mit Lyonel Feininger oder in den Sechzigern mit Jackson Pollock verweisen. Kultur diente im kalten Krieg der Polarisierung, und Eier flogen gegen das Amerika Haus mit dem Ausbruch des Vietnam-Kriegs.

2006 wurde die Stadt Berlin Eigentümer der Immobilie. Die Restaurierung und Umwandlung zum Fotozentrum übernahm C/O selbst mit Sponsorengeldern, Spenden und Lottokredit. Einundzwanzig Jahre wird C/O Berlin hier als Mieter residieren und der Traum von einem europäischen Zentrum für Fotografie in Nachbarschaft zum Museum für Fotografie und der Helmut Newton Stiftung und zur Universität der Künste rückt damit näher.

Berlin ist ja für Überraschungen gut, für zähe Entscheidungen bekannt, ebenso für die Partylaune, wenn etwas gelungen ist. Klaus Wowereit, der da gerade noch amtierende Bürgermeister, eröffnete vor wenigen Wochen das neue Domizil in der Hardenbergstraße. In einer Hunderte Meter langen Warteschlange reihte sich das Publikum, um gleich am ersten Tag Einlass zu finden.

Ein Andrang, den das Fotozentrum auch in Mitte erlebte und das offenbar ein Zeichen für die große Sympathie ist, welche die engagierte Galerie internationalen Ranges, inzwischen eine gemeinnützige Stiftung, genießt. «Wir haben unser Publikum vermisst», ist auch Stephan Erfurts - er ist der Spiritus Rector des C/O - prompte Antwort, auf die Frage, was in den vergangenen Monaten am meisten gefehlt hat. Jetzt freut sich das Team darauf, endlich den «Schatzkoffer» bislang unrealisierter Projekte öffnen zu können.

Da ist also Will McBright, der 1957 als erster Fotograf im damaligen Amerika Haus ausstellte und mit seiner Sichtweise den Generationswechsel begleitete. Die aktuelle Schau «Ich war verliebt in diese Stadt», in der er übrigens noch heute lebt, vereint neben den prominenten Fotos auch noch nie gezeigte Arbeiten des Amerikaners, der für Magazine wie «Life», «Geo» und den «Stern fotografierte.

Spektakulär aber sind die erstmalig in Deutschland ausgestellten Kontaktbögen von Magnum-Fotografen wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Josef Koudelka. Die Exposition zeigt Ausschnitte aus siebzig Jahren Fotogeschichte der berühmten Fotoagentur. Von Henri Cartier Bresson stammt der Satz: »Ein gutes Bild aus einem Kontaktabzugsbogen herauszuholen, ist so wie in den Keller zu gehen und mit einer guten Flasche zurückzukehren, die man gemeinsam leert.« Das sagt allerdings noch nichts über die Brisanz der Auswahl, zumindest bei den politischen Reportagen wie bei Phillips Jones Griffiths »verwundeten Zivilisten«, Vietnam 1967. Bei Bruno Barbeys »Maiunruhen in Paris« von 1968. Leonard Freed dokumentierte die überbordende Freude bei der Ankunft Martin Luther Kings in Baltimore/USA 1964. Signifikant Nixon, der mit seinem ausgestreckten Finger auf Chruschtschow einpocht (»Amerika needs Nixon« übertitelt), obwohl der Kontaktbogen auch zwei Redende auf Augenhöhe zeigt. Es ist spannend, sich als Besucher postum in den Entscheidungsprozess einbezogen zu fühlen. Und ganz im Sinne Bressons teilt man den Humor mit Inge Morath über das »Lama vom Time Square« oder die Faszination an Steve McCurrys »Staubsturm«, mit dem er eine nahezu archaisch schöne Situation 1983 in Indien festgehalten hat. Im digitalen Zeitalter sei der Kontaktbogen als eine Form des Privatarchivs bereits fast verschwunden, erklärt Felix Hoffmann und lenkt damit den Blick auch auf die technisch-historischen Aspekt der Bilddokumentation.

Hardenbergstraße 22-24. Alle Ausstellungen bis 16.1.2015, tägl. 11- 20 Uhr. 24.12. geschlossen. Eintritt bis zum 18. Lebensjahr frei. www.co-berlin.org

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