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Das Erbe

Dem Freilichtmuseum Altranft bleibt vorerst nur eine Gnadenfrist

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 8 Min.

Den Winter über bleibt das Museum für den Besucherverkehr geschlossen. Verrammelt das Tor zum Schlosspark. Hinter dem Tor harkt jemand Laub. Wir rufen, der Mann öffnet uns. Außer ihm keine Menschenseele: Ab 1. Januar 2016 könnte das hier immer so sein. Nein, auch der Mann wäre dann nicht mehr da, wer sollte ihn dann noch beschäftigen? Ein Jahr Galgenfrist hat der Kreistag des Landkreises Märkisch-Oderland dem Freilichtmuseum Altranft eingeräumt. Findet sich bis dahin kein neuer Träger und kein neues Finanzkonzept, ist die Schließung unabwendbar. Der Mann sagt: »Dann würde hier alles verkommen: der Park, das Schloss und die anderen in das Dorf integrierten Museumsgebäude. Uns Altranftern wurde schon alles genommen: der Bäcker, der Konsum, der Friseur, das Kino, der Sportklub und die Kneipen. Außer dem Museum sind uns nur noch der Haut- und der Zahnarzt geblieben.«

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Altranft im brandenburgischen Oderbruch. Einst war es ein Fischerdorf. Nachdem Preußenkönig Friedrich II. Mitte des 18. Jahrhunderts das Oderbruch trockenlegen ließ, begann auch hier eine landwirtschaftliche Entwicklung. Bis heute ist die Struktur des Gutsdorfes sichtbar und viele erhaltene Gebäude wie Gutsschloss, Kirche, Dorfschmiede, Wasch- und Backhaus, Armenhaus, Spritzenhaus, Alte und Neue Schule und Gutsbauernhöfe bezeugen die bäuerliche Geschichte. Schon 1977 wurde ein erster Hauptamtlicher Mitarbeiter mit dem Aufbau eines Freilichtmuseums betraut, der gesamte historische Gebäudeschatz wird seit 1990 als Museumsdorf genutzt.

5. Oktober 2014, deutsch-polnisches Erntefest in Altranft. Frauen in alten Bauerntrachten, prachtvoll gebundene Erntekronen, bunte Kürbisse auf der Bühne, Tanz und Gesang, Tausende Gäste. So viele Gäste hatte das Museum während der Saison nicht jeden Tag. Aber mit 20 000 Besuchern über die Saison verteilt lag es doch auch nicht gerade verwaist. Museumsdirektor Peter Natuschke erklärt: »Wir haben drei Standbeine. Zum einen die ›normalen‹ Besucher, die sich unsere Sammlung ansehen, zum anderen Kinder und Jugendliche, die das museumspädagogische Programm wahrnehmen, schließlich Gäste, die sich von den Events zu Ostern, Pfingsten und Erntedank angezogen fühlen. Es sind die Events, mit denen wir die meisten Besucher generieren.« Hat er schon eine Vorstellung, wie die Zahlen nach oben schnellen könnten? Natuschke wirkt leicht resigniert. Er sagt: »Wir sind ein Schönwettermuseum. Da ist es wie in einem Café: Man wünscht sich, dass es immer voll ist, doch manchmal ist es eben leer. Und wenn die Leute in Massen herbeiströmen, stellt sich die Frage, wie viele sie bedienen können.« Damit spielt er auf die Sparzwänge an, unter denen die Einrichtung seit nunmehr zehn Jahren leidet. Von zwölf Stellen zu Hochzeiten mit 35 000 Besuchern jährlich seien noch 6,2 Stellen übrig. Und zu den im Dorf liegenden historischen Gebäuden müssten Besucher begleitet werden, denn stünden diese unbeaufsichtigt offen, bliebe vom Inventar nicht viel übrig.

In der Einführungsausstellung im Schloss sollte man den Rundgang beginnen. Neben den detailgetreu und aufwendig im Stil des 19. Jahrhunderts und des gutsherrschaftlichen Standes hergerichteten Wohn- und Wirtschaftsräumen ist der Wandel im Bauen und Wohnen auf dem »platten Land« zu besichtigen. Eine Zeitreise in den ländlichen Alltag kann man ebenfalls unternehmen: Gegliedert in vier große historische Zeitabschnitte von 1648 bis 2000 werden qualitative Veränderungen erlebbar, zum Beispiel, wie sich das Schuhwerk vom Holzpantoffel über den Igelit- zum Lederschuh, die Beleuchtung der Stuben vom Kienspan zum elektrischen Licht entwickelten. Die Ausstellungen sind dreisprachig, vor allem Polnisch ist in der Grenzregion ein Muss. Natuschke sagt: »Bei uns muss man nicht wie im Grünen Gewölbe einen Kniefall vor Kunstobjekten machen. Bei uns erinnert man sich, dass man manches noch kennt und kommt miteinander ins Gespräch.« Allerdings, schiebt er nach, habe Alltagskultur in Brandenburg einen schweren Stand. »Hier huldigt man lieber den Hohenzollern.«

In den anderen historischen Gebäuden werden vor allem Schulklassen aus der Region museumspädagogisch betreut. Ein Angebot, so der Direktor, das Lehrer dankend annehmen. Nicht nur, dass die Kinder hier die alten Werkzeuge und Gerätschaften kennenlernen, sie schmieden, hecheln, riffeln, weben, reinigen Körner in einer Windfege und mahlen sie in Handmühlen zu Schrot, backen Streuselschnecken, kochen Obstsuppe und Hirsebrei, schöpfen Papier und entwerfen eine Glasgravur. »Wir vermitteln erlebnisorieniert«, sagt Natuschke, »und setzen Gemeinschaftserfahrung gegen die Individualisierung am Computer.«

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Die Schließung ist angedroht, was ist passiert? Der Landkreis Märkisch-Oderland war 1993 im Rahmen einer Kreisreform durch Zusammenlegung der Landkreise Bad Freienwalde (zu dem Altranft gehörte), Seelow und Strausberg entstanden. 1997 hatte der neue, große Landkreis die gemeinnützige Kultur GmbH Märkisch-Oderland gegründet, welche die zuvor vom Landkreis betriebenen Einrichtungen mit dem Ziel managen sollte, »das historisch gewachsene und überlieferte kulturelle Erbe der Region zu bewahren«. Bei diesen Einrichtungen handelt es sich um das Brecht-Weigel-Haus in Buckow, die Gedenkstätte und das Museum Seelower Höhen, das Schloss Freienwalde, die Kreismusikschule in Strausberg und das Freilichtmuseum Altranft mit der Bockwindmühle in Wilhelmsaue. Vom Kreis mit jährlich 1,5 Millionen Euro ausgestattet, steht der Kultur GmbH nun laut einem Gutachten der BSL Managementberatung GmbH in Köln die Insolvenz bevor. Bezug nehmend auf steigende Betriebs- und Personalkosten, Inflation und einen hohen Investitionsrückstau an Gebäuden, sagte Reinhold Lock von der BSL den Kreistagsabgeordneten im September 2013: »Wenn 1,5 Millionen die Summe ist, die Sie sich leisten können oder wollen, lässt sich das Angebot der Kultur GmbH nicht halten.« Er empfahl die Auflösung der Kultur GmbH und teilweise Rückführung der kulturellen Einrichtungen in die Kreisverwaltung oder eine Neustrukturierung durch einen Trägerwechsel.

Das Brecht-Weigel-Haus und die Stätten auf den Seelower Höhen sollen nun vom Landkreis übernommen werden - deren Existenz zu gefährden, würde einen Eklat auslösen. Was jedoch Altranft betrifft, so stellte Landrat Gernot Schmidt (SPD) auf der Kreistagssitzung am 10. November 2014 den Antrag, es zum 1. Januar 2015 abzuwickeln. Gegenüber Oderland-tv warf er die Frage auf, ob das Freilichtmuseum noch zeitgemäß sei. Dessen Vorschläge wiesen nicht in die Zukunft. Man brauche auch Mittel für die freie Kunstszene, die sich »dramatisch entwickelt« habe. Die Kreistagsmitglieder folgten dann aber dem Antrag der Grünen, Altranft mit eingeschränktem Personal bis zum 1. Januar 2016 offenzuhalten, es dann mit einem neuen Konzept in freier Trägerschaft weiterzubetreiben.

Neuer Träger, neues Konzept? Natuschke hat seine eigene Sicht: »Selbstverständlich ist es richtig, auch auf betriebswirtschaftliche Zahlen zu schauen. Unsere Gebäude sind historisch, mit anderen Worten: alt. Und wenn das Gutachten von einem Investitionsrückstau spricht, dann hat es Recht: Zuletzt haben wir nur noch das Nötigste an den Gebäuden machen können. In den nächsten Jahren würde es nicht billiger, sonst würden die Gebäude zunehmend verfallen. Deshalb möchte man sie abstoßen. So wie ich die Sache verstehe, wird kein neuer Träger gesucht, sondern eine Finanzierungslösung. Aber«, fährt Natuschke fort, »in der Kultur geht es nicht nur um Geld, sondern um andere Zielstellungen. Darum, was wir vermitteln wollen: unsere regionale Identität - warum leben wir hier, warum wollen wir bleiben? Dass das etwas kostet, ist klar. Ob man das will, ist eine politische Entscheidung. Leider erkenne ich kein kreisliches Kulturkonzept, das uns fordert und das wir erfüllen könnten: Was sollen Kultur und Wirtschaft bis 2025 zur Regionalentwicklung leisten?«

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»Ein Konzept bis 2025? Für Altranft geht es um 2015! Danach ist das Museum nämlich zu.« Bernd Neumann, Altranfter und Vorsitzender des Altranfter Traditionsvereins, vertritt seinen Standpunkt energisch. In der Vergangenheit gab es einige Reibereien zwischen dem Kulturverein und dem Museum, aber nun sucht man wieder verstärkt den Kontakt, denn auch für das 957-Seelen-Dorf steht ja einiges auf dem Spiel. »Ohne das Museum«, sagt Neumann, »wären wir nur noch ein reines Schlafdorf. Die deutsch-polnischen Handwerkermärkte fielen weg, die das Museum anlässlich seiner Großveranstaltungen organisiert, und auch die Bahnanbindung stünde in Frage.«

Neumann ist zu unserer Verabredung zusammen mit Altranfts Ortsvorsteher Bernd Hoffmann gekommen. Tags zuvor hatten der Maschinenbauingenieur und der Landwirt einen Termin beim Landrat, um sich, ihre Arbeit im Verein und ihr Anliegen vorzustellen. Der Landrat empfange nicht jeden, »aber der Traditionsverein ist der einzige, der bisher schon was getan hat.« Die Kultur GmbH, der bisherige Träger, wolle erst Mitte 2015 ein neues Konzept für das Museum vorstellen. »Was im ersten Halbjahr nicht an Aufträgen reinkommt, kommt überhaupt nicht«, weiß Bernd Neumann, »schon ab 1. Januar muss was passieren.« So hat sich denn der Traditionsverein bereits mit dem Büro für Landschaftskommunikation, dem Bad Freienwalder Bürgermeister, dem Verein für Bildung und Qualifizierung Bad Freienwalde sowie dem Heimatverein Hohen Saaten an einen Tisch gesetzt, um mögliche Lösungen zu finden. Hoffmann sagt: »Alle denken mit.«

Hoffnung gibt vor allem eine Skizze, die Kenneth Anders vom Büro für Landschaftskommunikation für die Umgestaltung der Museumslandschaft im Oderbruch entworfen hat. Das Museum Altranft könnte die Zentrale, der Koordinator ihrer Transformation werden, die der demografische Wandel nötig macht. Mit einem ausgereiften Konzept könnte sich der Landkreis Märkisch-Oderland bei der Bundesstiftung Kultur um eine Förderung bewerben, die für überalterte ländliche Räume auf der Suche nach einer Modellregion ist, in der die Probleme angegangen werden.

Bei den Parteien des Landkreises scheint vorerst Konsens zu bestehen: Kein Museum, kein Theater, keine Bibliothek sollte geopfert werden. Im Oderbruch könnte Kultur, deren Finanzierung zwar auch hier eine freiwillige Leistung der Kommunen ist, dennoch zur Daseinsfürsorge gehören. Als sich Natuschke, Neumann und Hoffmann voneinander verabschieden, besteht auch bei ihnen in einem Punkt Konsens: Sie müssen sich »schnellstens wieder zusammensetzen«.

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