Nicht selten gefühlt wie ein Verräter

Vom afghanischen Guantanamo in den »American Dream« - ein Dolmetscher, der sein Land verlassen musste

  • Emran Feroz
  • Lesedauer: 4 Min.
Hunderte Afghanen leisteten Hilfsdienste für die fremden Truppen. Mit deren Abzug werden sie nicht nur nicht mehr gebraucht, sondern müssen um ihr Leben fürchten.

Die hohen Wellen, die der CIA-Folterbericht geschlagen hat, sind noch nicht verebbt. Hauptschauplatz der meisten Szenarien, die darin beschrieben werden, ist Afghanistan. Vor allem das Gefängnis in Bagram im gleichnamigen US-Militärstützpunkt hatte einen grausamen Ruf und stand dem Gefangenenlager in Guantanamo an der Südostspitze Kubas in nichts nach. Genau einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts wurde die Folterhölle seitens der US-Amerikaner »offiziell« geschlossen.

Einer, der das Ganze hautnah miterlebt hat, war Mohammad A.*, ein junger Mann, der jahrelang als Dolmetscher der US-Truppen am Hindukusch tätig gewesen ist. Mohammad hat ein typisch afghanisches Gesicht, spricht Paschto, Dari und Urdu fließend. Englisch lernte er an einer pakistanischen Schule in Peschawar. Dort lebte er als Kriegsflüchtling gemeinsam mit seiner Familie.

Nachdem die US-Intervention in Afghanistan begann und die Taliban aus Kabul vorerst vertrieben wurden, kehrten Mohammad und seine Familie wieder in die Heimat zurück. Die ersten Jahre in Kabul waren nicht einfach. Mohammads Familie musste einen regelrechten Überlebenskampf führen. Das Geld war stets knapp und kam oft nur von Verwandten, die im westlichen Ausland, hauptsächlich in den USA und in Europa, lebten. Während dieser Zeit etablierte sich »dank« der NATO-Besatzer ein anderer Beruf unter jungen, studierten Afghanen: jener des Dolmetschers.

Rahim, ein Freund Mohammads, der ebenfalls seinen Schulabschluss in Peschawar gemacht hatte und nun mit US-amerikanischen Soldaten zusammenarbeitete, schwärmte von den horrenden Summen, die das Gehalt eines Lehrers oder eines Arztes um das Vielfache überstiegen. Die Dollarscheine lockten auch Mohammad. Allerdings brauchte er das Geld auch dringend, denn er musste seine alleinstehende Mutter sowie seine zwei jüngeren Geschwistern auf irgendeine Art und Weise ernähren. Nachdem Rahim ein gutes Wort für Mohammad eingelegt hatte, wurde er eingestellt. Seine neuen Arbeitskollegen hatten Namen wie Mike oder Jack, trugen schwere Stiefel, Tarnanzüge und waren stets bewaffnet.

Anfangs dachte Mohammad, er müsse lediglich ein wenig übersetzen, sprich, einfache Personenbefragungen und Ähnliches. Die Arbeit mit seinen Kollegen, die er immer mehr als Freunde betrachtete, wurde jedoch immer brutaler. Plötzlich war Mohammad stets unterwegs und nur selten in Kabul. Im Laufe der Zeit sah der junge Afghane all das Leid und das Blutvergießen in seinem Land. In Bagram musste er hautnah miterleben, wie Gefangene von seinen Kollegen, den US-Soldaten, gefoltert und missbraucht wurden. Oft wusste er - der Dolmetscher, der die Fragen in Paschto oder Dari übersetzen musste -, dass die Männer einfache Bauern oder Händler waren, die mit Terror und Al Qaida nichts am Hut hatten. Das interessierte allerdings niemanden. Mohammads Aufgabe war das Übersetzen, sonst nichts. Nicht selten fühlte er sich wie ein Verräter.

Die Arbeit veränderte Mohammad. Im Laufe der Jahre wurde alles zur Routine, auch das Foltern. Das anfängliche Mitgefühl wandelte sich um in Ungeduld. »Hauptsache, Feierabend«, dachte er sich oft, wie er heute erzählt. Ansonsten lebte es sich gut. Mohammad konnte seine Familie ernähren und heiraten.

Dann wurde der Dolmetscher plötzlich von der Realität eingeholt. Während einer Fahrt wurde das Auto seines Fahrers, eines Mannes, den er meinte, gut zu kennen, von US-Soldaten angehalten. Der Mann wurde mit Gewalt aus dem Auto gezerrt und vor Mohammads Augen verhaftet. Der Fahrer hatte sich als Taliban-Informant entpuppt. An jenem Tag wollte er Mohammad in eine Falle locken. Mohammads Kollegen, die US-Soldaten, überwachten das Handy des Mannes und konnten ihn so enttarnen.

Dieser Moment war für Mohammad entscheidend. Er wusste, dass er und seine Familie in seiner Heimat, nicht mehr sicher sind. Es war ihm nur allzu gut bekannt, was die Taliban mit gefangenen Dolmetschern machten.

Heute lebt Mohammad gemeinsam mit Frau und Kind in den USA. Er hatte Glück, denn sein Asylantrag wurde schnell akzeptiert. Zahlreiche ehemalige Kollegen von ihm warten weiterhin auf ihre Papiere, während ihr Leben stets in Gefahr ist. Die USA und andere NATO-Staaten, die sich am Afghanistan-Einsatz beteiligt haben, stehen in der Kritik, sich um ihre lokalen Helfer, vor allem um Dolmetscher, nicht zu kümmern. Dieser Vorwurf steht auch gegenüber der deutschen Bundesregierung im Raum. Zahlreiche Afghanen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiteten, müssen sich mit ihrem Asylbegehren weiterhin bürokratischen Hürden stellen. Ihre Angst um die nackte Existenz wird von den verantwortlichen Politikern verdrängt. Viele Ex-Dolmetscher wissen mittlerweile, dass man sie einfach vergessen möchte.

Mohammad hat seine Erlebnisse nicht vergessen. Umso mehr weiß er, dass Afghanistan nicht seine Zukunft sein kann. Nie wieder. In den USA will er ein Restaurant eröffnen und fernab von Krieg und Folter das Leben mit seiner Familie genießen. Allerdings munkelt man, dass die Taliban selbst dort ihre Leute hätten. Mohammad hofft, eigentlich ist er sich fast sicher, dass das nur ein Gerücht sei.

*Mohammad A. - der vollständige Name ist der Redaktion bekannt - möchte aus Angst um seine in Afghanistan verbliebenen Familienmitglieder anonym bleiben.

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