nd-aktuell.de / 22.12.2014 / Politik / Seite 13

Schwarze Weihnacht

In Hamburg wird immer mehr Menschen der Strom abgestellt

Folke Havekost, Hamburg
Im reichen Hamburg wächst die sogenannte Energiearmut. Die Linksfraktion in der Bürgerschaft fordert unter anderem Spartarife.

Am Dienstag letzter Woche erwischte es gleich 400 Haushalte, auf einmal und in der Frühe. In einigen Straßen des Hamburger Stadtteils Winterhude fiel um 9.05 Uhr der Strom aus. Der Schaden war nach einer guten halben Stunde wieder behoben, die Ursache blieb zunächst unklar.

Klar ist die Ursache für täglich durchschnittlich 21 Haushalte der Hansestadt. Sie sind von Zwangsmaßnahmen betroffen, weil sie ihre Stromrechnung nicht bezahlt haben, wie eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ergab. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde 5639 Hamburger Haushalten der Strom abgestellt, fast so vielen wie im gesamten Jahr 2013 (rund 5800). Auch die Zahl der Sperren für Gas (272 bis Ende Oktober) und Wasser (763 bis Ende November) liegen auf Rekordkurs.

»Energiearmut« als zusätzlicher Missstand von zumeist bereits ohnehin einkommensschwachen Menschen breitet sich aus. Die LINKE befürchtet eine Kettenreaktion. »Oft bleibt es nicht dabei, dass Menschen im Dunkeln und in der Kälte sitzen: In den schlimmsten Fällen führen steigende Strompreise und explodierende Heizkosten sogar zu Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit«, kritisiert die sozialpolitische Sprecherin der LINKE-Bürgerschaftsfraktion, Cansu Özdemir. »So kann man nicht mit Menschen umgehen: Strom-, Gas- und Wasserabsperrungen gehören endlich verboten«, fordert sie.

Ein damit befasster Antrag ihrer Fraktion wurde im Sommer 2012 in der Bürgerschaft abgelehnt. Darin forderten die Abgeordneten, »Prepaidsysteme als Alternative zur Strom- und Gassperre verpflichtend« einzuführen sowie »ein Modell für einen sozialökologischen Spartarif zu entwickeln, das durch den Einsatz von sogenannten intelligenten Zählern einkommensschwache Haushalte bei ihren Energiekosten entlastet«.

Viele Betroffene wenden sich derzeit an Institutionen wie die Verbraucherzentrale Hamburg, um Wege aus der sogenannten Energiearmut zu finden. Detaillierte Statistiken führt die Verbraucherzentrale zwar nicht, eine Sprecherin erklärte aber gegenüber »neues deutschland«: »Es herrscht bei uns weiterhin eine starke Nachfrage, wir haben regelmäßig mit dem Thema Stromsperren zu tun.«

Für die Opposition ist jedoch die Regierung aufgefordert, etwas zu tun. »Der Senat kann, aber er will nicht handeln«, sagt Özdemir: »Wir fordern eine kostenlose Grundversorgung mit Wasser und Energie für alle Menschen. Für Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung, Arbeitslosengeld II, Wohngeld und Kinderzulage muss der Kauf von sparsamen Neugeräten durch die jeweiligen Stellen finanziert beziehungsweise bezuschusst werden.«

Der politische Umgang mit Energie ist ein brisantes Thema in der Hansestadt. Im September 2013 sprachen sich bei einem Volksentscheid 51 Prozent für die Rekommunalisierung der Energienetze aus, der Senat unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wickelt die städtische Rückaneignung seitdem ab, im Januar 2015 übernimmt die städtische Stromnetz Hamburg GmbH die Konzession fürs Stromnetz von Vattenfall, das als Nochbetreiber Mahnungen verschickt und die Leitungen kappt.

Am Sonnabend hatte die LINKE vor dem Einkaufszentrum Berliner Platz in Hamburg-Jenfeld ihre Forderungen im Kampf gegen Energiearmut unterstrichen. Anwesend waren die beiden Parlamentarierinnen Dora Heyenn und Cansu Özdemir sowie der Wandsbeker Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015, Mehmet Öndek. Fehlenden Strom konnte das Trio nicht aushändigen, wohl aber heiße Tomatensuppe.