Immobilien in Flaschen abgefüllt

Reiseerinnerungen und Mitbringsel der besonderen Art

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.

Von so manchen Reiseerlebnissen habe ich im vergangenen Jahr erzählt, immer waren es vor allem die Menschen, die mich in ihren Bann gezogen haben. Sie erzählten vom großen und vom kleinen Glück, von Abenteuern, die sie erlebten, vom Stolz auf ihre Heimat, von ihren Hoffnungen und Wünschen an die Zukunft. Erinnerungen an solche Begegnungen sind die schönsten Souvenirs, die ich von unterwegs mitbrachte. Die Vorfreude und Neugierde auf neue sind der Hauptgrund, der mich immer wieder in die Welt hinaus zieht. Von ein paar ganz besonderen Erinnerungen und Mitbringseln des zu Ende gehenden Jahres soll hier die Rede sein.

Im zeitigen Frühjahr führte die Reise in den indischen Bundesstaat Rajasthan. Ein faszinierendes Land voller Widersprüche - prachtvolle Paläste aus längst vergangenen Zeiten auf der einen Seite, ärmliche Hütten auf der anderen. Ich traf selbstbewusste, gut ausgebildete junge Menschen in den großen Städten und auf dem Land Kinder, deren Zukunft alles andere als rosig ist. Hightech vom Feinsten hier und die Pflege jahrhundertealter Handwerkstechniken dort.

In Udaipur besuchte ich eine Manufaktur, in der bis heute auf die gleiche Weise Miniaturmalereien entstehen, wie schon im 16. Jahrhundert an den Höfen der Maharadschas. Ein junger Mann saß auf dem Fußboden und zeichnete mit einem extrem feinen Pinsel filigrane Motive auf ein Blatt Papier. Fasziniert schaute ich zu, wie er konzentriert und mit sicherer Hand Strich für Strich setzte. Die winzigen Blumen, die er malte, schienen unter seinen Händen aufzublühen, die Vögel in der Luft zu tanzen. Plötzlich schob er die Zeichnung zur Seite, lächelte mich an und sagte: »Ich heiße Mukesh, und wie heißen Sie?« Ehe ich mich versah, zeichnete er einen kleinen Elefanten, setzte darunter das Datum und schrieb seinen und meinen Namen auf das Blatt. »For you«, sagte er, und reichte mir die Miniatur. Was für ein Geschenk! Bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte, erzählte er noch, dass er die Kunst von seinem Vater gelernt hat, der sie von seinem beigebracht bekam. Seit vielen Generationen sei das so. 15 Jahre arbeite er schon als Miniaturmaler, jetzt, mit 33, habe er selbst einen Sohn bekommen. »Wenn er alt genug ist, werde ich die Tradition an ihn weitergeben«, sagte Mukesh zum Abschied.

Im Mai nahm ich eine Woche lang den Alpe-Adria-Trail unter die Füße, wanderte vom Großglockner in Österreich, durch den Triglav Nationalpark, entlang der Soča und durch die Weingärten in Slowenien bis an die Adria nach Muggia in Italien. Immer dabei meine Wanderstöcke, die nicht nur treue Begleiter auf allen Strecken, sondern auch immer wieder echte Hilfen waren, wenn die Berge zu steil und die Wege zu rutschig wurden. Ohne sie hätten nicht nur die Knie öfter mal geknirscht. Fein eingepackt und auf dem Koffer festgeschnallt traten sie mit mir die Heimreise im Flugzeug von Klagenfurt über Wien nach Berlin an. Dachte ich zumindest. Doch am Kofferband in Berlin wartete ich vergeblich auf die Stöcke. Irgendwo unterwegs waren sie verloren gegangen.

»Nicht ohne meine Stöcke«, sagte ich mir und reklamierte den Verlust umgehend bei Austrian Airlines (AUA). Allerdings ohne große Hoffnung. Doch schon einen Tag später kam die Antwort aus Wien. Sandra Holzer von der AUA schrieb mir: »Darf ich Sie um etwas Geduld bitten, ich bin gerade mit den Stationen in Kontakt und warte auf Rückmeldung. Sobald ich diese erhalten habe, werde ich mich umgehend wieder bei Ihnen melden.«

Verhaltene Hoffnung auf ein Wiedersehen mit meinen Wanderstöcken machte sich breit. Am nächsten Morgen klingelte mein Telefon in aller Herrgottsfrühe, und ich vernahm im schönsten Wiener Dialekt: »Ich habe soeben die Nachricht erhalten, dass unsere Kollegen hier in Wien Ihre Stöcke gefunden haben. Sie werden heute im Laufe des Tages nach Berlin geschickt.«

Tatsächlich: Am nächsten Morgen, es war der Pfingstsamstag, stand ein Bote mit den Vermissten vor der Tür. Ich war überglücklich. Inzwischen haben wir gemeinsam schon wieder einige Touren gemacht, wanderten unter anderem auf den Kapverden und in den bayerischen Bergen. Und irgendwie ist da immer als Dritte im Bunde die AUA-Mitarbeiterin Sandra Holzer, ohne deren Einsatz ich meine »Gehhilfen« wohl nie wieder gesehen hätte.

Bei einer Tour im August auf jüdischen Spuren durch Polen konnten sie getrost zu Hause bleiben, denn die Reise führte über flaches Land in Orte, die (noch) nicht auf den klassischen touristischen Routen liegen. Nach Chmielnik beispielsweise, eine kleine Stadt in der Wojewodschaft Heiligkreuz im Süden des Landes. Seit dem 17. Jahrhundert war Chmielnik ein Zentrum jüdischen Lebens. Bis 1939 lebten hier 80 Prozent Menschen jüdischen Glaubens, ehe die Faschisten 1941 den Ort zu einem Ghetto und Sammelplatz für Juden aus ganz Polen machten. Rund 16 000 Menschen deportierten sie von Chmielnik aus ins Konzentrationslager Treblinka und ermordeten sie dort. Jetzt wurde die ehemalige Synagoge aus dem 18. Jahrhundert mit Hilfe von EU-Mitteln saniert und im Juni 2013 als multimediales jüdisches Museum und Bildungszentrum eröffnet.

In kaum einem anderen Ort kann man mehr über das jüdische Alltagsleben erfahren. Obwohl es heute nur noch sehr wenige Juden in der Region gibt, werden in Chmielnik deren Traditionen gepflegt. So findet seit 2003 alljährlich ein Festival der jüdischen Kultur statt. Eine ganz besondere Art der Traditionspflege kann man unweit der Synagoge im Restaurant »Starozydowska« erleben. Es ist weit und breit das einzige Gasthaus, wo nach alten jüdischen Rezepten gekocht wird. Hier servierte die Chefin mitten im Sommer eine Gans, die so zart war, dass sie auf der Zunge zerging. Ob ich das Rezept haben könne, fragte ich die Wirtin. Das sei kein Geheimnis, erwiderte sie und diktierte es mir in den Block: Man nehme so viel Wasser, dass es die Gans vollständig bedeckt, und koche es mit drei Händen voll Salz, Piment und Lorbeerblättern auf. Ist es abgekühlt, wird es über das Federvieh gegossen, der Topf an einen kühlen Ort gestellt und für die nächsten 24 Stunden vergessen. Dann die Gans rausnehmen, trocken tupfen und rundherum mit einer schaumig geschlagenen Paste bestreichen, die aus mindestens zehn großen geriebenen Knoblauchzehen und etwas Salz hergestellt wird. Nun wird das Tier in Alufolie eingepackt und für 45 Minuten bei 180 Grad Celsius im Backofen gegart, dann Temperatur auf 120 Grad Celsius reduzieren und weitere drei Stunden im Ofen lassen. Zuletzt die Gans aus der Folie nehmen und kurz unterm Grill die Haut knusprig bräunen. Probieren Sie es, Sie werden begeistert sein.

Eine Portion davon hätte meine Stimmung wahrscheinlich sofort gehoben, als ich Ende November auf dem Flughafen von Toronto strandete. Eine Woche lang hatte ich in Churchill Eisbären beobachtet und war in Winnipeg auf den Spuren der Einwanderer unterwegs gewesen. Eine schöne, aber auch anstrengende Tour, vor allem, weil mein Englisch alles andere als perfekt ist. Jetzt freute ich mich auf zu Hause und dann das: Eis und Schnee verzögerten den Heimflug um Stunden. Ich versuchte die Wartezeit mit dem elektronischen Tablet rumzubringen, das es an jedem Warteplatz gibt. (In dieser Hinsicht können sich die Flughäfen hierzulande wirklich was von den Kanadiern abgucken.) Eine Weile surfte ich im Internet, legte ein paar virtuelle Patiencen, schrieb etliche Mails und guckte, was mit dem Ding noch so anzufangen ist. Essen und Getränke bestellen zum Beispiel! »Ich spreche Ihre Sprache«, ließ mich die Speisekarte auf Englisch wissen. Was ich sofort ausprobierte. Ein Klick, und alle Angebote waren auf Deutsch zu lesen. Auf der gut sortierten Weinkarte blieb ich hängen. Und musste plötzlich so laut lachen, dass die Leute im Umfeld erschrocken aufblickten, mich anstarrten und vergaßen, ihre Zeitungen weiterzulesen. Es war aber auch wirklich zum Schreien komisch, was das stand: »Alte Reben, Riesling, Schloss des Charmes - Immobilien in Flaschen abgefüllt«. Ein Haus für weniger als zehn Euro. Wunderbar!

Was für ein Glück, ging es mir plötzlich durch den Kopf, dass meine Gesprächspartner in der letzten Woche etwas taktvoller waren als ich beim Lesen der Computerübersetzung. Ansonsten hätten sie sich über mein stümperhaftes Englisch wahrscheinlich öfter mal vor Lachen auf die Schenkel geklopft.

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