Klares Nein zur Ausgrenzung

Hellersdorfer Elternakademie animiert Anwohner von Asylheim zum Abbau von Vorurteilen

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Nein zur Ausgrenzung, ja zu anderen Sichtweisen und respektvollem Umgang: Im ersten Kurs der Elternakademie Hellersdorf beschäftigten sich fünf Familien mit vorurteilsbewusster Erziehung.

Fragen über Fragen, keine Antworten, stattdessen Frust. Melanie Ritter (Name von der Redaktion geändert) erinnert sich noch genau an die Situation vor einem Jahr. »Wut hatte ich«, sagt die junge Mutter. »Vor allem auf unsere Regierung, weil sie sich anscheinend mehr um Flüchtlinge kümmert, als um die eigenen Menschen«, beschreibt die Hellersdorferin ihren Gemütszustand von damals. »Irgendwie kam so viel zusammen und plötzlich alles hoch.«

Melanie Ritter gehörte zu den Anwohnern, die zunächst gegen das Flüchtlingsheim an der Carola-Neher-Straße war. Bekannte aus ihrem Umfeld schimpften ebenfalls auf die Behörden, »weil die eigenen Kinder in einer heruntergekommenen Schule lernen müssen, aber für Ausländer offensichtlich viel mehr getan wird«. So oder ähnlich äußerten sich etliche Bewohner in dem Gebiet rund um die Nossener Straße in Hellersdorf.

»Dagegen müssen wir etwas tun«, stand für Gabi Paul und ihr Team vom Kinder-, Jugend- und Familienzentrum »Haus Aufwind« fest. Schon seit vielen Jahren ist in der Nossener Straße 89 ein Auflaufpunkt für Hilfesuchende: Die Jugendwerk Aufbau Ost gGmbH berät dort unter anderem Alleinerziehende, bietet verschiedene Kurse für unterschiedliche Altersgruppen an, bereitet innerhalb eines breiten Netzwerkes Jugendliche auf ihre Berufswahl und Ausbildung vor und unterstützt Kinder bei den Hausaufgaben. »Viele Mädchen und Jungen kommen aus einem schwierigen sozialen Umfeld und brauchen unsere Unterstützung«, sagt Gabi Paul. Sie betont: »Ganz wichtig ist es, den Eltern zu verdeutlichen, wir sehen in ihnen nicht nur Problemfälle, sondern betrachten den ganzen Menschen.«

Und so gab es im Dezember vergangenen Jahres zunächst lockere Gesprächskreise mit Interessierten. Die Eltern sollten sich wohl fühlen, nicht unter Druck gesetzt werden und vor allem frei von der Leber weg miteinander diskutieren können. Es entstand schließlich die Idee für eine Elternakademie.

Die erste Gruppe, die sich in den zurückliegenden Wochen für jeweils zwei Stunden traf, bestand aus fünf Familien: Zehn Erwachsene und genau so viel Kinder gehörten dazu. Worüber gesprochen wurde, legten die Beteiligten gemeinsam fest. Es ging um Gewalt, Rechte von Kindern und Erwachsenen, aber ebenso um Ghettosprache, pubertäres Verhalten, eigene Gewalterfahrungen und Diskriminierung. »Anfangs war ich unsicher und wartete erst einmal ab«, gibt Melanie Ritter zu. Doch nach und nach fand sie es angenehm, Gleichgesinnte zu treffen und sich auszutauschen. »Über Dinge zu reden, die man sonst eher nichtöffentlich ausspricht«, sagt die Mutter.

Auch ihre beiden elf- und zwölfjährigen Kinder kamen gern zur Akademie. »Wir haben einen Film gesehen, Plakate entworfen und über Fremde gesprochen«, berichtet Benjamin. Seine Mutter sagt, die offenen Diskussionen und das Zulassen verschiedener Meinungen, gaben ihr Kraft und Selbstvertrauen. »Ich habe jetzt einen anderen Blick auf viele Dinge und gebe das auch an meine Kinder weiter«, beschreibt sie ihre Erfahrungen. Damit meint sie unter anderem das Anerkennen von Unterschieden, ein klares Nein zur Ausgrenzung und Respekt gegenüber anderen.

Gabi Paul und ihre Kolleginnen sind mit dem Verlauf des Projektes zufrieden. »Die Beteiligten haben sehr offen und ehrlich ihre Sichtweisen ausgetauscht, ohne dabei verletzend zu werden«, sagt auch Mitarbeiterin Eva Prausner. Man habe nun eine gute Basis und könnte darauf aufbauen. Ein wesentliches Ziel sei es, kritisches Denken über Vorurteile, Einseitigkeiten und Diskriminierung anzuregen.

Wie es konkret weitergeht, ist noch unklar. Angestrebt wird auf jeden Fall eine Verlängerung. »Wir versuchen wieder Fördergelder zu beantragen, denn der Wunsch, die Themen zu vertiefen, besteht«, sagt Gabi Paul. Geplant ist außerdem, Beteiligte später einmal im Wohngebiet als Multiplikatoren einzusetzen, für eine offene und freundliche Nachbarschaft.

Infos zum Projekt im Internet unter: www.jao-berlin.de

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