nd-aktuell.de / 30.12.2014 / Sport / Seite 18

Raus aus der Opferperspektive

2015 werden erstmals in Deutschland die Makkabi-Spiele ausgetragen, auf dem Berliner Olympiagelände von 1936

Ronny Blaschke, Frankfurt am Main
Die europäische Ausgabe des größten jüdischen Sportfestes wird im Sommer in Berlin ausgetragen - die Makkabi-Bewegung will sich als Teil der Gesellschaft präsentieren.

Wenn Alon Meyer über prägende Erinnerungen seines Sportlerlebens spricht, dann redet er nicht über Gold, Silber oder Bronze, dann redet er über die Europäischen Makkabi-Spiele vor drei Jahren in Wien. Immer wieder hatten an diesem großen jüdischen Sportfest auch deutsche Athleten teilgenommen, immer wieder waren sie von Juden aus anderen Ländern kritisch beobachtet worden. »Wie kann man bloß im Land der Täter wohnen?«, lautete eine oft gestellte Frage an sie. Jahrzehntelang traten deutsche Teilnehmer bei den Makkabi-Spielen in den Farben Blau und Weiß an, in den Farben Israels. Doch in Wien liefen sie bei der Eröffnung erstmals in Schwarz, Rot, Gold ein. »Deutschland, Deutschland«, riefen die Zuschauer so laut wie noch nie. »Ein unbeschreibliches Gefühl«, sagt Alon Meyer, geboren und aufgewachsen in Frankfurt am Main. »Das hat uns tief bewegt.«

Alon Meyer ist seit gut einem Jahr die selbstbewusste Stimme von Makkabi in Deutschland, einem Verband mit 37 Ortsvereinen und mehr als 4000 jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern. Er glaubt, dass sich die Glücksgefühle von Wien im kommenden Jahr steigern lassen. Am 27. Juli beginnen auf dem Berliner Olympiagelände die vierzehnten Europäischen Makkabi-Spiele. Wo Hitler 1936 sein Regime bejubeln ließ, werden mehr als 2000 jüdische Athleten aus dreißig Ländern in zwanzig Sportarten aktiv sein. »Wir möchten keine Wettbewerbe mit Hinterhofcharakter, wir möchten uns öffnen«, sagt Alon Meyer. Im vergangenen Sommer hat er mit Sorge auf die antisemitischen Demonstrationen geblickt. »Wir wollen mit gastfreundlichen und offenen Spielen den Menschen in und außerhalb Deutschlands zeigen, dass wir ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft sind. Da sagen Bilder mehr als tausend Worte. Das ist eine sehr politische Angelegenheit.«

Alon Meyer hat in Frankfurt Fußball gespielt und als Trainer gewirkt, er hat dort Betriebswirtschaft studiert und eine Familie gegründet. Und er steht Makkabi Frankfurt vor, dem größten Ortsverein, mit rund 1300 Mitgliedern. In seinem Büro im Stadtteil Eschersheim spricht Meyer über seine Wurzeln: Sein in Berlin aufgewachsener Vater war 1933 mit der Familie nach Palästina ausgewandert. Als deutscher Jude wurde er im neuen Staat Israel mitunter ausgegrenzt. Und so ging er nach New York und dann 1958 nach Frankfurt. Meyers Vater engagierte sich in der Jüdischen Studentenbewegung und baute mit Freunden den Sportverein Makkabi wieder auf. Der Klub wuchs, alle waren willkommen. »Als Fünfjähriger bin ich mit meinem Vater durch die Zuschauerreihen gelaufen und habe Spenden gesammelt«, erzählt Alon Meyer. »Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen.«

Alon Meyers Vater hat zu Hause nicht über den Holocaust gesprochen, auch nicht über den Antisemitismus in den fünfziger oder sechziger Jahren. Alon Meyer erfuhr später selbst Judenfeindschaft: als Fußballer, Betreuer, Trainer und Funktionär. Er hat die Polizei rufen müssen, Anwälte eingeschaltet, Attacken mit dem Handyvideo dokumentiert. Doch in den vergangenen sechs, sieben Jahren sind die Schmähungen subtiler geworden. Makkabi ist in Frankfurt auf der Suche nach einem neuen Sportgelände. Meyer spricht bei Beamten, Politikern und Banken vor. Oft wird er mit uralten Klischees konfrontiert: »Uns wurden Plätze angeboten, die unbebaut sind oder Äcker. Dann sagen einige Stadtverantwortlichen zu uns: Ihr habt doch das Geld. Für euch wäre es doch leicht, die Fläche zu bebauen. Und da merkt man das Unterschwellige: Die Juden hätten doch Geld.«

Alon Meyer orientiert sich an seinem Vorbild, Dieter Graumann, den ausgeschiedenen Präsidenten des Zentralrats der Juden und früheren Vorsitzenden von Makkabi Frankfurt. Beide wollen weniger aus der Opferperspektive heraus argumentieren, sondern konstruktiv nach vorn blicken. Alon Meyer leitet bei Makkabi Deutschland ein komplett erneuertes Präsidium. Das jüngste der zwölf Mitglieder ist 23 Jahre alt, mit 40 ist Meyer fast das älteste. Das Präsidium möchte Ortsvereine fördern, den Austausch mit Israel stärken und über Inklusion diskutieren. Sport sei wichtig, sagt Meyer, aber wichtiger seien Bildung, Kultur, soziales Miteinander.

Die ersten Europäischen Makkabi-Spiele in Deutschland sollen ein Meilenstein werden. Siebzig Jahre nach Ende des Krieges, fünfzig Jahre nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Schirmherr des neuntägigen Sportfests ist Bundespräsident Gauck. Als Botschafter haben zugesagt: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Bayern-Profi Jerome Boateng und die jüdische Schwimmerin Sarah Poewe. Immer wieder sprechen Alon Meyer und seine Mitstreiter bei Ministerien, Stiftungen und Unternehmen vor. Sie wollen einen Etat von sechs Millionen Euro verwirklichen, für Wettbewerbe, Konzerte und Bildungsveranstaltungen. Ein Viertel der Kosten wird für die Sicherheit veranschlagt. Die große Mehrheit der Teilnehmer wird in einem Hotel im Bezirk Neukölln untergebracht sein. »Ich hätte mir die Sponsorensuche wesentlich einfacher vorgestellt«, sagt Meyer. »Leider haben noch nicht alle die Bedeutung dieses Sportfests erkannt.« Die jüdischen Sportler erwarten im Sommer nicht viel. Was sie sich wünschen: Normalität.