nd-aktuell.de / 31.12.2014 / Kommentare / Seite 4

Die Geburtshelfer von Al Qaida

Matin Baraki analysiert, wie es zu dem Attentat der Taliban auf eine Schule in Pakistan kommen konnte

Matin Baraki

Im April 1978 hatte die Demokratische Volkspartei Afghanistans das feudale Daud-Regime gestürzt und grundlegende Reformen eingeleitet. In den strategischen Zentren des Westens stellte man fest, dass dieses Afghanistan keine Schule machen dürfe. Ansonsten würde die gesamte Region revolutioniert und die Ölversorgung des Westens gefährdet. Die iranische Revolution von 1979 bestätigte diese Befürchtung. Daraufhin wurde die Beseitigung der Regierung in Kabul beschlossen. Sie wurde als kommunistisch eingestuft und zu ihrer Bekämpfung der Islamismus erfunden. Das war die Geburtsstunde der Mujaheddin, Taliban und Al Qaida, also jener Islamisten, die wir nun weltweit beobachten.

Die Taliban waren Waisenkinder der afghanischen Flüchtlinge und Kinder armer pakistanischer Familien, die keine Schulausbildung finanzieren konnten. Sie wurden in den um Peshawar errichteten Koranschulen kostenlos unterrichtet, ideologisch geschult und später militärisch ausgebildet und ausgerüstet. Für ihre Organisierung und militärische Ausbildung sorgten die CIA und Pakistans Geheimdienst ISI, für die Finanzierung die arabischen Golfmonarchien. Sie waren die Geburtshelfer von Taliban und Al Qaida.

Der pakistanische Machthaber, General Zia Ul Haq, hatte ab 1980 neue Koranschulen errichten lassen, deren Zahl von Experten heute mit 50 000 angegeben wird. Selbst wenn sich von jeder Schule nur ein Talib den Kämpfern anschließen würde, hätten die Taliban jährlich 50 000 Kämpfer. Dazu kommen afghanische, uigurische, turkmenische und arabische Taliban bzw. freiwillige Dschihadisten. Man kann von einer Internationale des Islamismus sprechen.

Erst nach dem 11. September 2001 erklärten die USA ihre ehemaligen Zöglinge zu Terroristen. Seit dreizehn Jahren führen sie nun einen gnadenlosen Krieg gegen sie. Viele ihrer alten durch die Jahre müde gewordenen Kommandanten, die zuletzt Kompromissbereitschaft signalisierten, wurden eliminiert, aber die Bewegung konnte nicht zerstört werden. Die jungen Taliban-Kommandanten sind kompromissloser. Wegen der Drohneneinsätze der CIA, wobei es zu vielen zivilen Opfern kam, schließen sich deren Angehörige als Freiwillige den Taliban an, gewähren ihnen Unterschlupf und geben ihnen Spenden. So können sich die Taliban in den Stammesgebieten wie Fische im Wasser bewegen. Sie werden von den erstarkten islamistischen Parteien Pakistans und aus arabischen Quellen weiterhin finanziert. Waffen kaufen sie auf dem Schwarzmarkt oder erbeuten sie durch Überfälle der Konvois, die von Karatschi aus über den Khaybar-Pass die US-Besatzer in Afghanistan beliefern. Da sie von den islamistischen Parteien Pakistans als Freiheitskämpfer gegen die USA angesehen werden, erhalten sie von ihnen politische, personelle und finanzielle Unterstützung.

NATO-Strategen haben vor etwa vier Jahren eine Differenzierung der Talibanbewegung vorgenommen. Es wurde zwischen einheimischen und internationalen Taliban unterschieden. Einheimische hätten anders als Al Qaida keine internationale Agenda. Sie wollen nur fremde Soldaten aus ihrem Land vertreiben, deswegen könne man mit ihnen verhandeln. Ziel der westlichen Strategen war es, die Taliban in Afghanistan in die kolonial ähnlichen Strukturen zu integrieren und damit zu neutralisieren. Als die pakistanische Regierung diese Position auch für sich beanspruchte und mit den Taliban einen Waffenstillstand vereinbarte, wurde Islamabad von den USA ultimativ dazu aufgefordert, die Taliban weiter zu bekämpfen. Pakistans Armee führte mehrere Operationen durch, zuletzt im Frühjahr 2013, wobei auch Zivilisten getötet wurden. Die Taliban haben sich grausam gerächt. Ihre Selbstmordattentäter griffen am 16. Dezember 2014 eine von Kindern des Militärs besuchte Schule in Peshawar an, wobei über 140 Schüler bzw. Lehrer und die Angreifer ums Leben kamen. »Sie müssen fühlen, wie es ist, wenn man Kinder ermordet«, sagte ein Taliban-Sprecher an die Adresse des Militärs gerichtet.

Für eine Lösung des Konfliktes in und um Pakistan gibt es zu Verhandlungen mit den Taliban keine Alternative. Die westlichen Länder, allen voran die USA, sollten sich heraushalten. Es ist bewiesen worden, dass externe Faktoren die Probleme nicht lösen, sondern eher verschlimmern. Die USA sind längst nicht mehr nur Teil des Problems, sondern das Hauptproblem für die Konfliktlösung. Sie sind zu einem Hemmnis für eine friedliche Beilegung der innenpolitischen Konflikte in Afghanistan und Pakistan geworden.