Amerikas blutrünstige Dämonen

Manfred Berg untersuchte die Geschichte der Lynchjustiz in den USA

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Erst 50 Jahre ist es her, dass die USA zumindest auf rechtlicher Ebene zu einer farbenblinden Nation wurden. Auch in einer 75 Tage andauernden Redeschlacht hatten Senatoren aus den Südstaaten nicht verhindern können, dass am 2. Juli 1964 durch den Civil Rights Act jegliche Rassentrennung im gesamten Land für illegal erklärt wurde. Zwar war bereits 1869 in Folge des Bürgerkriegs im 15. Verfassungszusatz verfügt worden, dass nach der Abschaffung der Sklaverei auch alle Bürgerrechte nicht länger »aufgrund der Rassenzugehörigkeit, der Hautfarbe oder vormaliger Dienstbarkeit verweigert oder beschränkt werden« dürften. Doch erst jetzt wurde die in den Südstaaten nach wie vor herrschende und in Staatsgesetzen kodifizierte rigide »Segregation« beseitigt. Aktionen der Bundespolizei FBI und Anklagen nach Bundesrecht gingen nunmehr an die Wurzeln - den omnipräsenten Terror gegen Afroamerikaner. Denn: »In letzter Instanz beruhte die weiße Vorherrschaft auf der allgegenwärtigen Drohung mit Gewalt«, zeigt der Heidelberger Historiker Manfred Berg in seiner Geschichte der »Lynchjustiz in den USA«.

Von den Ursprüngen der popular justice, »einer direkten Mitwirkung des Volkes an der Strafjustiz«, in den ad-hoc-Tribunalen im Unabhängigkeitskrieg - benannt nach einem ihrer Befehlshaber, Charles Lynch - und der Zeit der Westexpansion im 19. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre verfolgt Berg akribisch und unter Hinzuziehung einzelner Fallstudien die Praxis der zumeist »unbeschreiblichen Barbarei«, die angesichts der lange kaum präsenten Staatsmacht »so amerikanisch wie Baseball« gewesen sei. Der Autor verweist darauf, dass die häufig demokratisch begründete »gemeinschaftliche Verteidigung von Recht und Ordnung«, die schon von Beginn an übermäßig häufig gegen Außenseiter, Ureinwohner, Ausländer und unter US-Herrschaft gekommene Mexikaner gerichtet gewesen sei, seit Mitte des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich im Süden anzutreffen gewesen sei und dort überwiegend den Charakter rassistischer Mobgewalt angenommen habe.

Für mehr als ein Jahrhundert bildete nun die Lynchjustiz, exekutiert von »anständigen Bürgern« mit oder ohne die weiße Kapuze des Ku-Klux-Klan und teilweise vor Tausenden von Zuschauern durchgeführt, eine zentrale Verteidigungslinie zunächst der Sklavenhalterordnung und später der Segregation. Legitimiert wurde dies zumeist durch den Verweis auf den Schutz weißer Frauen.

Allein in den Jahren 1968 bis 1871 habe der Klan nach seiner Gründung um die 20 000 ehemalige Sklaven ermordet, schätzt Berg. Wenn auch mit abnehmender Tendenz, blieben Lynchings bis in die 1950er Jahre an der Tagesordnung. Deren Opfer waren zu fast 80 Prozent Afroamerikaner. Eine Verurteilung hatten die Täter, zu denen häufig auch örtliche Sheriffs oder Richter gehörten und die sich stets auf die Zustimmung ihrer weißen Gemeinden stützen könnten, nie zu fürchten.

Selbst die Kritik am Apartheidsregime konnte tödlich enden. Gegner der Sklaverei könnten nur »auf eine Weise zum Schweigen gebracht werden: Terror und Tod«, hatte schon 1835 einer der führenden Politiker Mississippis, John Henry Hammond, gedroht - und damit eine Tradition begründet, die bis ins Jahr 1964 weiterlebte, als in einem der letzten spektakulären Fälle drei Bürgerrechtler, die Afroamerikaner über ihre neuen Rechte aufgeklärt hatten, in Mississippi brutal ermordet wurden.

Wie schwer Amerikas »blutrünstige Dämonen« (Berg) selbst im 21, Jahrhundert noch auf dem gesellschaftlichen Leben lasten, zeigte sich u.a. darin, dass der Senat sich erst 2005 und zudem nach langer heftiger Diskussion dazu durchringen konnte, das Lynchen »als schlimmste Erscheinungsform des Rassismus in den Vereinigten Staaten« zu verurteilen. Indes wurden und werden Entschädigungszahlungen bis heute verweigert.

Das dunkelste Erbe der Lynchjustiz lebt bis heute fort. Denn ihr Ende, so Berg, ist ausgerechnet durch die »drastische Ausweitung der staatlich exekutierten Todesstrafe« mitverursacht worden, die noch immer zu 80 Prozent im Süden verhängt wird und deren Opfer fast zur Hälfte schwarz sind.

Manfred Berg: Lynchjustiz in den USA. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 275 S., geb., 32 €.

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