Vom Verschwinden der Schon-Arbeitsplätze

Nachwuchsmangel ist nicht die einzige Ursache für Überalterung in Bremer Betrieben

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Belegschaften in vielen Betrieben in Deutschland werden immer älter. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Zwei Beispiele aus Bremen.

Nachwuchsmangel ist nicht die einzige Ursache für Belegschaftsüberalterungen. Diese Erkenntnis ist dem »Bericht zur sozialen Lage« der Arbeitnehmerkammer Bremen, dem Pendant zur Handelskammer, zu entnehmen. Mit unterschiedlichen Methoden und Blickwinkeln wird darin die Arbeitsmarktrealität für Ältere in der Hansestadt beleuchtet.

Die Vielfalt der Problemlagen zeigt sich an den beiden Beispielen Arcelor Mittal Bremen und Klinikum Bremen-Ost. Während bei den Stahlkochern von den gut 3000 Beschäftigten fast alle Männer sind, und das Durchschnittsgehalt beinahe die 5000-Euro-Marke erreicht, ist die etwa 2200 Personen starke Belegschaft des Klinikums zum größten Teil weiblich. Auch hier wird, wie bei Arcelor, im Dreischicht-Betrieb rund um die Uhr gearbeitet. Das Durchschnittseinkommen liegt aber nicht einmal bei 3000 Euro.

Gemeinsam haben beide Betriebe den steigenden Altersdurchschnitt der Belegschaft. Hohe Anforderungen an Gesundheit und Fitness führen dazu, dass viele das Pensum nicht mehr schaffen, krank werden oder vorzeitig ausscheiden, weil sie arbeitsunfähig werden oder selbst kündigen. Ebenfalls gemeinsam ist beiden Betrieben der zunehmende Abbau sogenannter Schon-Arbeitsplätze.

Da es kaum Fluktuation gibt, überaltert die Belegschaft, so Klaus Hering, Betriebsratsvorsitzender von Arcelor Mittal Bremen. In fünf Jahren sei jeder zweite Mitarbeiter über 50 Jahre alt. Der Mutterkonzern Arcelor Mittal gilt als größter internationaler Stahlkocher der Welt. In den Chefetagen fehlt es offenbar an Verständnis dafür, dass Kollegen - etwa aus dem Dreischicht-Betrieb - , die mit 50 eigentlich noch 17 Arbeitsjahre vor sich haben, bereits jetzt nicht mehr den Anforderungen ihres angestammten Arbeitsplatzes gerecht werden können, trotz konzerninterner Gesundheitsprogramme.

So können ältere Angehörige der Bremer Hütte ihre Arbeitszeit um vier Prozent kürzen. Das Programm ist vom Unternehmen finanziell so ausgestattet, dass pro Abteilung etwa jeder Dritte verkürzen kann. Viele Abteilungen haben aber einen deutlich höheren Bedarf.

Da die Konzernspitze sich immer mehr auf das Kerngeschäft zurückziehen will, verschwinden die »Schon-Arbeitsplätze«. Konnte früher jemand mit Gesundheitsproblemen zum Beispiel einen weniger anstrengenden Arbeitsplatz in der Pförtner-Loge finden, so sitzen dort jetzt Angestellte einer Fremdfirma.

Im Klinikum ist laut Monika Rübmann, Betriebsratsvorsitzende Klinikum Bremen-Ost, gerade die hohe Fluktuation der Grund für die Überalterung im Haus. Im Zuge von Sparmaßnahmen wurden befristete Arbeitsverhältnisse nicht verlängert. Da meist Jüngere befristet angestellt waren, sind die Älteren, langjährigen Beschäftigten geblieben.

Auch im Klinikum-Ost, das einem Verbund von vier Bremer Kliniken angehört, gibt es kaum noch »Schon-Arbeit« für Fachkräfte. Durch die Umwandlung vieler Fachkraft- in Hilfskraftstellen verdichtete sich die Arbeit der examinierten Pflegerinnen. Hilfskräfte übernehmen leichtere Aufgaben, für die Fachkräfte bleiben die schwierigen und schweren - und dazu noch die Verantwortung dafür, dass die Patienten von den Hilfskräften korrekt versorgt werden. Hinzu kommt die Zentralisierung von Aufgaben im Klinik-Verbund, die zum Verlust von gewachsenen Strukturen im Haus führen und Arbeitsabläufe verkomplizieren.

Durch das niedrige Einkommen der Klinik-Angestellten gibt es wenig Spielraum für Arbeitszeitverkürzung. Viele machen es trotzdem, rechnen aber nur, wie sie mit dem noch verbleibenden Gehalt über die Runden kommen. Gehen sie in Rente, droht ihnen Altersarmut.

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