Tendenziös, manipuliert und gelogen

Peer Stolle zieht Bilanz der Strafverfolgung von Nazigegnern in Dresden

  • Lesedauer: 3 Min.

Anfang 2012 hat der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) unter dem Titel »Rechtsstaat auf Sächsisch« eine Einschätzung zu den staatlichen Reaktionen auf die antifaschistischen Aktivitäten zum 13. und 19. Februar 2011 gegen den damals größten Neonaziaufmarsch Europas abgegeben. In dem Fazit wurde konstatiert, dass die sächsischen Strafverfolgungsbehörden systematisch zu offensichtlich rechtswidrigen Maßnahmen greifen und rechtliche Grundsätze staatlicher Macht und Willkür unterordnen. Der RAV hat deswegen zu einem offensiven politischen und juristischen Umgang mit diesem speziellen sächsischen Rechtsstaatsverständnis aufgefordert.

Drei Jahre später haben sich die damals geäußerten Befürchtungen mehr als bestätigt: Die sächsischen Ermittlungsbehörden haben nicht nur bei der Verfolgung antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten jedes Maß verloren, sondern auch in einer Vielzahl von Fällen in eklatanter Weise gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen.

Die Funkzellenabfrage am 19. Februar 2011, die zu einer Erhebung von insgesamt mehr als einer Million Datensätzen und zu einer Feststellung von über 54 000 MobilfunknutzerInnen geführt hatte, wurde nachträglich für rechtswidrig erklärt. Auch die am selben Tag durchgeführte polizeiliche Stürmung des »Hauses der Begegnung« in der Großenhainer Straße in Dresden wurde nachträglich für rechtswidrig erklärt. Die mit großem Aufwand geführten Verfahren gegen friedliche BlockiererInnen wegen angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz - von der Polizei noch als Straftat von erheblicher Bedeutung bewertet - wurden in der Mehrzahl der Fälle wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Auch sämtliche Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer angeblichen kriminellen Vereinigung namens »Antifa-Sportgruppe« wurden eingestellt. Ausgangspunkt dieses Verfahrens war die Angabe zweier bekannter Rechtsextremisten gewesen, die gegenüber den Ermittlungsbeamten Übergriffe einer solchen Gruppe behauptet hatten. Dies reichte der Staatsanwaltschaft aus, um ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß Paragraf 129 StGB einzuleiten. Die davon Betroffenen, die sich zum Teil noch nicht einmal kannten, wurden mit einer Vielzahl heimlicher und grundrechtsintensiver Ermittlungsmaßnahmen überzogen. Ermittlungserfolg: Null.

Im Oktober 2014 wurde das Verfahren gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruch u. a. gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt, obwohl Staatsanwaltschaft und Gericht zunächst von einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren ausgegangen waren. Nur durch die engagierte und akribische Arbeit der Verteidigung konnten die tendenziöse Arbeit der Staatsanwaltschaft, die offensichtliche Manipulation von Beweismitteln durch die Polizei und offenkundige Falschaussagen von Polizeibeamten aufgedeckt werden.

Ein ähnliches Bild bot sich in dem Verfahren gegen Tim H., der erstinstanzlich wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war. Erst als die Verteidigung in dem Berufungsverfahren entlastendes polizeiliches Videomaterial präsentieren konnte, das die Polizei bewusst zurückgehalten hatte, wurde Tim H. vom Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs freigesprochen. Eine schwere Schlappe für die Staatsanwaltschaft, die jedoch noch immer keine Ruhe geben will und nun Revision gegen das Urteil eingelegt hat.

Diese Beispiele belegen die Einschätzung, dass die Dresdner Ermittlungsbehörden bei der Verfolgung von AntifaschistInnen bewusst rechtliche Grenzen überschreiten, auf erschreckende Weise. Sie zeigen aber auch, dass man sich gegen rechtsstaatswidriges Verhalten von Behörden erfolgreich zur Wehr setzen kann. Dies gelang einerseits durch den Einsatz engagierter VerteidigerInnen für die Rechte der Beschuldigten. Andererseits spielten die breite Unterstützung durch die Zivilgesellschaft und eine engagierte Presseberichterstattung eine entscheidende Rolle. Ohne dieses Engagement allerdings - und dies kann nicht genug betont werden - wären die meisten dieser Rechtsbrüche nicht öffentlich, politisch und juristisch thematisiert worden. Mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen.

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