Das »B10« und die Dreifach-Null

In Stuttgart-Weißenhof wird das Wohnen in der Zukunft erforscht

  • Roland Böhm, Stuttgart
  • Lesedauer: 4 Min.
Weißenhof - der Stadtteil Stuttgarts (Baden-Württemberg) lässt Architekten noch immer mit der Zunge schnalzen. Und wieder geht es hier um das Bauen in der Zukunft.

Verglaste Front, Flachdach, weißer Rahmen - spektakulär geht anders, möchte man meinen, wenn man die Straße zum Stuttgarter »Architektur-Wunder« entlangkommt. Okay, das flache Haus am Bruckmannweg 10 sieht etwas ungewöhnlich aus, aber dass es die »Keimzelle für eine Revolution im Bauwesen« sein soll, wie das »B10« genannte Gebäude gepriesen wird, erkennt der Laie nicht gleich. Hier zählen offenbar vor allem die inneren Werte: Das »B10« erzeugt nicht nur die Energie, die es selbst benötigt, sondern noch mal so viel - und die kann es mit den Nachbarn im Quartier teilen. Es sei somit das erste Aktivhaus der Welt, sagt Architekt und Bauingenieur Werner Sobek.

Der Ingenieur spricht gern vom »Prinzip der Schwesterlichkeit«. Der Zusatzstrom reicht aus, um nicht nur zwei zum Haus gehörende E-Autos und zwei E-Fahrräder zu betreiben, sondern auch noch das Weissenhofmuseum im Le-Corbusier-Haus nebenan zu versorgen, wie Sobek-Sprecher Frank Heinlein erläutert. Das schmale Grundstück, auf dem »B10« steht, weckt Erinnerungen an große Architekturtradition: 1927 verwirklichten hier im Ortsteil Weißenhof unter Leitung des deutsch-amerikanischen Architekten und Designers Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) führende Vertreter des Neuen Bauens die experimentelle Weissenhofsiedlung mit ursprünglich 21 Häusern. Den Zweiten Weltkrieg überstand nur die Hälfte. Während viele Flächen neu bebaut wurden, blieb über Jahrzehnte eine Lücke zurück - die am Bruckmannweg 10.

Und genau hier wird jetzt wieder experimentiert. Herz des »B10« ist ein ausgeklügeltes Energiekonzept mit Wärmepumpe, Eisspeicher, Hausbatterie sowie natürlich einer großen Solaranlage - und mit allem, was beim Dämmen heute möglich ist, sagt Heinlein. Auch der Bund Deutscher Architekten (BDA) interessiert sich für die Forschungsergebnisse aus Stuttgart. »Ob das letztlich alles funktioniert, können wir natürlich nicht einschätzen«, sagt BDA-Sprecher Benedikt Hotze in Berlin. Werner Sobek mache sich aber mit dem »B10« bundesweit einmal mehr führend um die Forschung zu Fragen der Nachhaltigkeit verdient. »Architektur ist da nicht irgendetwas Schöngeistiges, sondern ein angewandtes Forschungsthema.«

Um die ehrgeizigen Energieziele des Hauses erreichen zu können und Wärmeverlust zu minimieren, ist der kompakte Baukörper nach drei Seiten vollständig geschlossen. An der verglasten Vorderseite sorgt Vakuum-Isolierglas für eine möglichst gute Wärmedämmung. Zudem lässt sich die komplette Holz-Terrasse auf Knopfdruck vor die Glasfassade klappen, um die Wärme drinnen zu halten.

»B10« ist nichts für die Ewigkeit, sondern ein Forschungsprojekt auf Zeit. Drei Jahre lang soll es unter wechselnden Bedingungen erprobt werden - dann wird alles wieder abtransportiert. Bis dahin fungiert es mal als Arbeitsort, mal als Wohnhaus. In Serie gehen soll das Ganze nicht - vielmehr wird getestet, was geht. Energiegewinnung und Verbrauch werden am Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart wissenschaftlich ausgewertet. Das »B10« ist Teil des Verbunds »Schaufenster LivingLab BWe mobil« mit rund 40 Projekten in Baden-Württemberg, der vom Bund unterstützt wird. Es erfüllt nach Angaben des Büros Sobek die Dreifach-Null: Das Haus benötige im Prinzip null Energie von außerhalb, verursache null Emissionen und null Abfall. Das »B10« könne ohne Rückstände vollkommen recycelt werden, erläutert Heinlein.

War die Weissenhofsiedlung avantgardistisch vor allem wegen des Baustils, ist beim »B10« das Energiemanagement zukunftsweisend: Das Haus lernt. So ist die Heizung in der Lage, sich den Bedürfnissen der Bewohner anzupassen. Sie sorge eigenständig dafür, dass jeder Raum stets so beheizt sei, wie es nötig sei, verspricht Jonathan Busse von der AlphaEos AG, einem jungen Unternehmen für Intelligentes Wohnen.

Gesteuert wird das Ganze über Smartphone oder Tablet. Nähert sich der Bewohner damit, springt die Heizung an, und das Haus richtet alles so ein, dass es einen wohligen Empfang gibt. Überflüssiger Verbrauch sei minimiert. Busse spricht vom »guten Geist im Hintergrund«. Dieser kann den Bewohner auch unterwegs beruhigen, dass der Herd sehr wohl aus ist und alle Fenster geschlossen sind. dpa/nd

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