Kunstkosmos in Backstein

Leipzigs alte Baumwollspinnerei beherbergt inzwischen 100 Ateliers und elf Galerien

  • Gitta Keil, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.
Die einstige Baumwollspinnerei im sächsischen Leipzig ist heute ein Zentrum der Kreativen und Künstler. Und sie ist inzwischen auch für Unternehmen interessant.

Das babylonische Sprachgewirr in der alten Leipziger Baumwollspinnerei kommt nicht nur von den jährlich 300 000 Besuchern, die über das Buckelpflaster des historischen Areals schlendern. International und jung sind auch die Bewohner dieses ganz besonderen Künstlerareals, das gerade noch Zuwachs bekommen hat. Zu Jahresanfang hat das SpinLab seine Arbeit aufgenommen. SpinLab ist eine Kooperation zwischen der Verwaltungsgesellschaft für die Baumwollspinnerei und der privaten Wirtschaftshochschule HHL. Die Spinnerei stellt in Halle 14 kostenlos Büroräume und Infrastruktur zur Verfügung.

Die HHL bringt Gründerteams dorthin, damit sie in der kreativen Atmosphäre der Kulturfabrik Zeit und Raum haben, aus einer Geschäftsidee ein marktfähiges Unternehmen zu entwickeln. Momentan läuft die Bewerbungsfrist. Im Februar sollen die ersten Teams einziehen, wie ein HHL-Sprecher sagte. Das Besondere an diesem Laboratorium ist, dass hier nicht nur Studenten oder Absolventen hoch qualifizierter Ausbildungsgänge an zukunftsfähigen Lösungen tüfteln werden. »Auch Unternehmen können ihre Teams ins Spinlab schicken, um neue Geschäftsideen auszubrüten«, sagte der Sprecher. Für dieses Jahr hätten sich eine Bank und ein Energieunternehmen angemeldet. Die Betreuung übernimmt das an der HHL beheimatete Zentrum für Gründungen und innovatives Management. Finanziert wird das SpinLab durch Sponsoring aus der Wirtschaft.

Die alte Spinnerei ist indessen vor allem auch ein Ort der Kunst und der »Neuen Leipziger Schule«. »Man muss ganz klar sagen, der Erfolg der Spinnerei ist untrennbar verknüpft mit der ›Neuen Leipziger Schule‹. Wir haben die relevanten Leute, wir haben die relevanten Galerien«, sagte Spinnerei-Geschäftsführer Bertram Schultze. Christoph Ruckhäberle etwa, der hier nicht nur zusammen mit Thomas Siemon Grafikbücher herausgibt. Gemeinsam mit Michael Ludwig betreibt er auch ein kleines Kino. Christiane Baumgartner, Tino Baumgärtel, Michael Triegel sind andere namhafte Künstler.

Und natürlich der große Star: Neo Rauch. Obwohl er inzwischen zu den gefragtesten Malern der Welt gehört, kommt er immer noch in sein Atelier in der Spinnerei geradelt. Doch über die Schulter schauen kann man dem sensiblen Künstler dort nicht. Wo genau sein Atelier sich befindet, verraten die Spinnerei-Leute nicht. »Wir schützen ihn«, sagte Michael Ludwig, der sich unter anderem um Besucher und Führungen kümmert. Mehrmals im Jahr laden die Galerien zu ihren Rundgängen ein, um Künstler zu präsentieren.

100 Künstlerateliers, Druckereien, ein Laden für Künstlerbedarf, elf kommerzielle Galerien für zeitgenössische Kunst und etwas Gastronomie bilden auf dem ehemaligen Fabrikgelände aus Backsteinen einen ganz eigenen Kosmos. »Das ist ein Ort für sensible Menschen, die alle ihren höchstpersönlichen Interessen nachgehen, die sie sehr, sehr ernst nehmen«, sagt Schultze. Die Hoffnung der HHL ist, dass sich die Teams im Spinlab von der kreativen Atmosphäre der Spinnerei inspirieren lassen. Das weitläufige Fabrikgelände verströmt einen morbiden Charme, der vielleicht zum großen Teil die Anziehungskraft der alten Fabrik ausmacht. 1884 wurde die Spinnerei gegründet. Im Verlauf von einem viertel Jahrhundert entstand ein weitläufiges Areal mit Wohnungen und einer Gartenanlage gegenüber. Im Jahr 2000 wurde der Spinnereibetrieb endgültig eingestellt.

»Parallel zur schrittweisen Stilllegung begann die damalige Verwaltung, Ateliers und Flächen an junge Künstler zu vermieten«, erzählt Schultze. Weil vieles gut erhalten war, wurde nur das Nötigste investiert. »Das ist ein vergleichsweise geringer Aufwand für die Revitalisierung. Dadurch können wir jungen Künstlern und Kreativen günstige Mieten bieten«, betont Schultze. Die Leipziger Baumwollspinnerei Verwaltungs GmbH ist ein Unternehmen des Projektentwicklers MIB AG Berlin/Leipzig. dpa/nd

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