nd-aktuell.de / 14.01.2015 / Politik / Seite 7

Weltgeist zügelt Steckenpferd

Nach dem Terror in Paris werden schärfere Gesetze gefordert - nicht alles ist machbar

René Heilig
Die Anschläge in Paris werden als Europas 11. September überzeichnet. Warum? Man fordert neue Gesetze. Doch was national machbar ist, ist längst getan. Die EU aber steht sich selbst im Wege. Zum Glück.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington setzte die deutsche Regierung umgehend eine Reihe neuer Gesetze durch und sortierte sie zum Sicherheitspaket II. »Otto-Katalog« nannte man das unter Anspielung auf den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Immer wieder benutzte gerade Deutschland die EU als Hebel zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze. Motto: Brüssel verlangt das! Wohin das führen kann, hat Schily später als Alterspräsident des Parlaments 2005 selbst beschrieben: »Eine umfassend verstaatlichte Gesellschaft endet in der Schreckensherrschaft des totalitären Staates.«

Der »Brüsseler Umweg« zur Verschärfung nationaler Gesetze ist offenbar weitgehend ausgereizt. In Berlin öffnet daher vor allem die Union die eigenen Schubladen. Man sattelt lahme Steckenpferde, um sie erneut an den Start zu bringen. Ziel: Gesetzesverschärfung. Daran ist nichts verwerflich - vorausgesetzt, sie legt Vorschläge auf den Tisch, die Leben und Gesundheit der Bürger besser schützen helfen und mutmaßliche Terroristen von Taten abhalten. Doch dem ist nicht so. Zurecht verweist die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag Martina Renner darauf, dass die Regierung noch nicht einmal ihren seit über zwölf Jahre gültigen »Otto-Katalog« einer unabhängigen Evaluierung unterziehen ließ. »Statt erneut elementare Rechtsstaatsprinzipien infrage zu stellen, soll die Regierung erst einmal belegen, dass sie alle zur Verfügung stehen Mittel und Gesetze effektiv und rechtstaatlich nutzt.«

Es gibt sicherlich Anti-Terror-Maßnahmen, die in der EU relativ einfach umsetzbar sind. Im Europa der offenen Grenzen sind nationale Extremistenregister überholt. Insgesamt wird das Schengen Informationssystem sicher aufgerüstet werden. Wie werden Datenschützer einbezogen? Es fragt sich auch, wie hätte eine bessere Kontrolle der EU-Außengrenzen die Attentäter - sie waren Franzosen mit allen Bürger- und EU-Rechten - vom Morden abhalten sollen? Natürlich waren sie als Extremisten bekannt. Doch um allein die drei rund um die Uhr zu bewachen, hätten die Polizei ein knapp hundertköpfiges Observationsteam aufbieten müssen.

Auf der französischen Islamisten-Gefährderliste stehen über 1000 Personen. Deutschland rechnet mit rund 180 aus Syrien und Irak Heimgekehrten - und auch die kann man nicht 24 Stunden im Blick haben.

Das sieht auch die Union ein und preist daher die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung an. Was staunen lässt, denn gerade die Attentate in Frankreich - wo die Vorratsdatenspeicherung angewandt wird - haben deren Untauglichkeit bei der Verhinderung von Anschlägen gezeigt. Nur wenn die Behörden die Privatsphäre von Bürgern noch weitreichender verletzten, als es mit der Variante, die vom Europäischen Gerichtshof verworfen wurde, möglich ist, könnten Ermittler daraus womöglich einen Gewinn ziehen. Politisch ist das nicht durchsetzbar.

So ist das auch mit der geforderten Passagierdatenspeicherung. Um bei der Erstellung von Bewegungs- und Kontaktbildern möglicher Terroristen aus Ermittlersicht ein Optimum zu erreichen, müssten auch alle Daten von Bahn-, Bus- und Schiffsreisenden erfasst werden. Taxidienste und Mietwagenzentralen kämen hinzu; und der Zugriff auf Kreditkartendaten, Handyverträge und vieles mehr haben müsste. Absurd. Wie wäre es mit dem prophylaktischen Anlegen von elektronischen Fußfesseln? Bewahre! Noch gibt es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Wer die Terrorismusbekämpfung europaweit zusammenführen will, muss das ihr zugrunde liegende Rechtssystem und die Strafverfolgung rigoros vereinheitlichen. Der muss Gesetzgebungsrechte nach Brüssel delegieren; der muss Europol und Frontex weiter ausbauen und den Behörden Vollzugsrechte einräumen; der muss aus dem Auswärtigen Dienst, der derzeit 1300 Mitarbeiter beschäftigt und 230 Millionen Euro jährlich verbraucht, einen schlagkräftigen EU-Geheimdienstverbund schaffen ...

Aber: Die Grundlagen für ein EU-weites, in viele Richtungen einsetzbares Überwachungssystem sind geschaffen. Doch von der tatsächlichen Aufgabe nationaler Kernsouveränität sind die EU-Mitglieder weit entfernt. Und das ist - angesichts der nicht gerade demokratisch durchgestylten EU - ein Glücksumstand für den Erhalt von Bürgerrechten.

In der 2005er Rede des alten Schily findet sich Tröstliches: »Glücklicherweise bleibt uns zuletzt die Überzeugung, dass gar vieles nebeneinander bestehen kann und muss, was sich gerne wechselseitig verdrängen möchte: Der Weltgeist ist toleranter, als man denkt.«