Verborgenes hervorbringen

Soziologietagung in Jena

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Elfenbeinturm geht nicht mehr», sagt Klaus Dörre, Professor für Soziologie in Jena und Mitveranstalter der an diesem Donnerstag beginnenden Tagung über Öffentliche Soziologie und gesellschaftsverändernde Praxis. Dörre bezieht sich mit seinen Worten auf den britischen Soziologen Michael Burawoy. Der Professor an der University of California in Berkeley hat das Konzept der «Public Sociology» vor ungefähr zehn Jahren entwickelt und in die angelsächsischen Debatte eingebracht. Er tat dies vor dem Hintergrund, dass sich die Stellung der Sozialwissenschaften und der Soziologie in der heutigen Universität geändert habe. «Burawoy spricht von einer einer dritten Welle der Vermarktlichung, die die Universitäten erfasst hat und die Sozialwissenschaften und Soziologie in ihrer Substanz bedroht», erläutert Dörre. In Großbritannien, das Burawoy vor Augen habe, finden Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften an den Universitäten gar nicht mehr statt. Deshalb also gehe der Elfenbeinturm nicht mehr.

Doch was setzt Burawoys Konzept der Öffentlichen Soziologie dem entgegen und was meint es? Dass Soziologen stärker den Kontakt zu den Medien suchen? «Nein», sagt Klaus Dörre, «Talking to the Media» sei damit nicht in erster Linie gemeint. Vielmehr müssten sich Soziologen unter den neuen Bedingungen mit anderen Gruppen verbünden, die von der Vermarktlichungswelle betroffen seien. Dies können sie aber nur mit den Mitteln von Soziologen, nicht als politische Partei tun, sagt Dörre. Und weiter: «Soziologen müssten ihre Forschungen einsetzen und privilegierte Beziehungen zu Aktivisten, zu subalternen Gruppen nutzen, um exklusive Wissensbestände zu eruieren, die sie dann synthetisieren und an Praxiszusammenhänge zurückspielen.»

Dörre selbst lernte das Konzept 2012 in Südafrika kennen. Sein Besuch fiel zusammen mit den wilden Streiks in den Erzbergwerken in Marikana, bei denen 40 Menschen durch Schüsse starben. «Da konnte ich erleben, was Öffentliche Soziologie in der Realität bedeutet», sagt er. Sozialwissenschaftler konnten nämlich in der folgenden Debatte durch ihre Forschungen über Tarifstrukturen, Lohndifferenzen, Verschärfung der Ungleichheit sowie der Renaissance der Religion die Debatten mit beeinflussen. Das geschah zum Beispiel auch durch ein globales Seminar, an dem via Internet verschiedene Public-Sociology-Arbeitsgruppen teilnahmen. Obwohl sich der Einfluss nicht messen lasse, so Dörre, sei es der Regierung nun nicht mehr möglich gewesen, bestimmte Aspekte einfach zu verdecken.

Das Versteckte, Verborgene wissenschaftlich vorzubringen, das Dörre mit Burawoy als Aufgabe der Öffentlichen Soziologie sieht, ist auch Ziel der Konferenz in Jena. Zum Beispiel im Hinblick auf die Themen Wachstumskritik, Medien, Prekarität, Gewerkschaften, Gewalt und Umwelt. Burawoy selbst wird anwesend sein und dafür sorgen, dass sein Konzept auch im deutschsprachigen Raum bekannter wird. Er spricht über «Soziologie als Berufung».

Jena liegt in Thüringen, wo bekanntlich eine rot-rot-grüne Landesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Ein Vertreter derselben wird in die Unistadt kommen. Man darf also gespant sein, ob das in der Einladung formulierte Ziel, ein «neues Verhältnis von SoziologInnen und PraktikerInnen» zu konstituieren«, einen Anfang findet. Das Interesse besteht: Kurzfristig wurde die Zahl der möglichen Teilnehmer auf 150 erhöht.

www.kolleg-postwachstum.de/Veranstaltungen

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