Kritische Solidarität

Gewerkschaften fordern einen Kurswechsel in Europa, außer bei den Schulden. Von Jörn Boewe

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 3 Min.

Bundesregierung, Finanzmärkte und Leitmedien sind nervös: Jüngsten Umfragen zufolge dürfte die griechische Linkspartei Syriza bei den vorgezogenen Parlamentswahlen Ende Januar stärkste Partei werden. SYRIZA strebt einen Bruch mit der vor allem von Berlin verordneten Sparpolitik an. Einen solchen Kurswechsel in der Eurozone fordern seit Jahren auch der DGB und seine Mitgliedsorganisationen. Doch neben solidarischen Äußerungen kommen aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung auch zweideutige Signale.

Als erster hatte sich in der vergangenen Woche Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, zu Wort gemeldet. »Einen Schuldenschnitt halte ich wirtschaftlich und politisch für falsch«, sagte der führende DGB-Makroökonom dem »Handelsblatt« im Hinblick auf einen möglichen SYRIZA-Wahlsieg. Sein Argument: Ein solcher Schritt dürfte »sowohl für Griechenland als auch für die übrigen Krisenländer sofort zu erhöhten Risikoprämien« führen, »was deren Erholung weiter erschweren würde«. Zwar gebe es auch richtige Forderungen im SYRIZA-Programm - »beispielsweise, den harten Austeritätskurs zu verlassen und damit die Binnennachfrage zu entlasten«. Eine Reduzierung der Verbindlichkeiten sei jedoch heikel, weil »die Eurozone damit signalisieren würde, dass Staatsanleihen im Euroraum keine sichere Anlage sind«, bekräftigte Horn gegenüber dem Fernsehsender n-tv.

Auch ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel äußerte sich skeptisch über einen möglichen Schuldenschnitt für Griechenland. »Solange der Zins über der Wachstumsrate liegt, steigt die Verschuldung ungehindert weiter«, schrieb er in einem Gastbeitrag für das »nd«. »Wichtiger als alles Andere« sei stattdessen eine »Abkehr von der neoliberalen Schocktherapie«. Hier sieht der ver.di-Mann auch seine eigene Organisation und die deutschen Gewerkschaften insgesamt in der Pflicht. »Der Schlüssel für einen griechischen Politikwechsel liegt in Rom, Paris und Berlin«, sagte Hierschel auf »nd«-Nachfrage. Die Regierung Merkel habe aber bereits klargestellt, dass sie den Kredithahn abdreht, wenn der Sparkurs nicht fortgesetzt wird. Folglich sollten die Gewerkschaften in den Gläubigerstaaten versuchen, ihre Regierungen unter Druck zu setzen, »um einer neuen griechischen Regierung den notwendigen Handlungsspielraum zu ermöglichen«.

Klare Worte fand auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, gegenüber »Spiegel Online«. Bei der Wahl in Griechenland handele es sich »um einen demokratischen Prozess, den man respektieren muss« und bei dem »über eine verfehlte Sparpolitik abgestimmt« werde, »die vor allem Deutschland vorangetrieben hat«. Scharf kritisierte der DGB-Chef die Einmischung von Bundesregierung und Teilen der Medien in den griechischen Wahlkampf: »Kommentierungen, wie es sie jetzt gibt, würde sich jede deutsche Partei verbitten.« Hoffmann betonte, die Bevölkerung in dem südeuropäischen Land dürfe nicht länger »durch ständige Einschnitte für Fehler bestraft werden, die bei der Aufnahme in die Eurozone gemacht wurden«.

Die größte deutsche Industriegewerkschaft, die IG Metall, hat sich bislang nicht zur Griechenland-Wahl geäußert. Allerdings steckt sie mitten im Auftakt ihrer Tarifrunde. In der Vergangenheit hatten die Metaller das Troika-Spardiktat für Griechenland stets scharf verurteilt. Und sie beließen es nicht bei Worten: Über ihren internationalen Dachverband IndustriALL leisteten sie praktische Unterstützung für ihre griechischen Kollegen, die sich gegen die Folgen der Austeritätspolitik wehrten. So etwa mit einer Solidaritätskampagne für die streikenden Arbeiter der Skaramanga-Werft, die seit zwei Jahren für ausstehende Löhne kämpfen.

Nach einer Werksbesetzung 2012 wurden zehn Gewerkschafter inhaftiert und angeklagt, darunter auch der Vorsitzende der griechischen Metallgewerkschaft POEM, Jannis Stefanopoulos. Führende europäische Gewerkschafter, darunter das damalige IG-Metall-Vorstandsmitglied Helga Schwitzer, flogen 2013 zum Prozessauftakt nach Athen. Im Mai 2014 wurden die Gewerkschafter freigesprochen.

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