nd-aktuell.de / 23.08.2006 / Politik

»Pioniere der Integration«

Besondere Westberliner Situation schuf frühzeitig die organisierte Solidarisierung mit Flüchtlingen

Uwe Kalbe
Im Herbst 1986 trat die soeben gegründete Flüchtlingsoraganisation Pro Asyl mit der Erklärung an die Öffentlichkeit, in der gesamten Bundesrepublik Landes-Flüchtlingsräte gründen zu wollen. Der Berliner Flüchtlingsrat war damals bereits fünf Jahre alt. Er wurde am 23. August 1981 gegründet - heute vor 25 Jahren.
Es war eine eher unspektakuläre Veranstaltung, als sich Vertreter der Kirchen sowie von Menschenrechtsgruppen an jenem Augusttag in Berlin trafen. Sicher war nur, dass man Flüchtlingen helfen wollte. Im Juli war ein Flüchtlingsheim in der Berliner Flottenstraße geräumt worden, die 300 Bewohner wurden auf die Straße gesetzt. Heidi Bischoff-Pflanz, eine der Aktiven von damals, später Fraktionsvorsitzende der Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus, macht die besondere Berliner Situation für den frühen Gründungstermin verantwortlich. Die DDR ließ Flüchtlinge ungehindert nach Westberlin ausreisen. Eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Palästinensern kam in jenen Jahren. Auf der anderen Seite sammelten sich hier überdurchschnittlich viele Freigeister, Aussteiger, Alternative aus Westdeutschland - eine Armee mit Sendungsbewusstsein und Solidarisierungspotenzial. Und zu jener Zeit versuchten sich erstmals Unionspolitiker wie Franz Josef Strauß und Lothar Späth am Wahlkampf auf Kosten von Migranten. In Berlin hieß der Mann mit Polarisierungshang Heinrich Lummer und war Innensenator. Frauke Hoyer, jahrelang die »gute Seele« des Flüchtlingsrates, sieht in einem damals weithin beachteten internationalen Hearing im Reichstag, das vom Berliner Missionswerk organisiert war, einen Impuls für die Flüchtlingspolitik außerhalb der Parteien und auch für die Gründung des Berliner Flüchtlingsrates. Heiko Kauffmann, damals Sprecher des Kinderhilfswerkes Terre des hommes, später Sprecher von Pro Asyl, erinnert an einen Wandel in der öffentlichen Meinung. Noch unter der sozialliberalen Regierung von Helmut Schmidt wurden Flüchtlinge vor allem als Problem des Ostens wahrgenommen - da kamen sie in der Regel her und zeugten von der Überlegenheit des Westens. 1978 begrüßte Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) die ersten vietnamesischen Boat People in Niedersachsen. Doch kurz vor der Machtübernahme der neuen Bundesregierung unter Helmut Kohl 1982 machte FDP-Innenminister Gerhart Baum bereits auf die Gefahren von Rechtsextremismus und Rassismus aufmerksam. 1980 gab es erste Brandanschläge auf Asylheime in Lörrach und Leinfelden. Flüchtlinge kamen damals vor allem aus der Türkei. Trotz vieler Versuche der Vernetzung dauerte es noch fünf Jahre, bis eine bundesweite Flüchtlingshilfeorganisation gegründet wurde - Pro Asyl. Auf Landesebene folgte dem Berliner nach zwei Jahren der niedersächsische Flüchtlingsrat, viele Zusammenschlüsse arbeiteten in Städten. »Pioniere der Integration« nennt Kauffmann die Flüchtlingsräte. Sie hätten Integration sehr früh als zweiseitige Aufgabe von Migranten und Aufnahmegesellschaft gesehen und zu vermitteln versucht. Im Februar hatte der Berliner Flüchtlingsrat seine 500. Sitzung. Beratung, Hilfe in Notfällen, Öffentlichkeitsarbeit - die Aufgaben sind vielfältig, die meist ehrenamtliche Arbeit ist über Parteiengrenzen hinweg geachtet. Auch als unbequem: Jahrelang verärgerte man Landesregierungen durch Proteste gegen die Praxis der Lebenmittelpakete. Mit Erfolg: Zumeist erhalten Flüchtlinge heute Bargeld. Die Flüchtlingsräte Nordrhein-Westfalens und Bayerns sehen sich derzeit von allen öffentlichen Mitteln abgeschnitten. Mitarbeiterzahlen, Büros, Geschäftszeiten mussten reduziert werden, mit Spendenkampagnen versucht man sich über Wasser zu halten. Die Zahl der Anfragen sinkt, Schulungen werden eingestellt. Beide Vereine haben in diesem Jahr 20. Jubiläum. Ob sie das feiern werden, wissen sie noch nicht.