Wie vor 25 Jahren: Bürger stürmten Stasi-Zentrale

7000 Besucher interessierten sich für die alten Akten und das Büro von Erich Mielke

  • Jutta Schütz
  • Lesedauer: 3 Min.
Als im Januar 1990 Demonstranten in die Berliner Stasi-Zentrale eindringen, ist völlig offen, was aus den Akten wird. Noch heute interessieren sich Tausende für die Hinterlassenschaft der Stasi.

Jemand hat am Sonnabend die Türen zur neuen Ausstellung in der einstigen Stasi-Zentrale Minuten zu früh geöffnet. Die Frage, wer das zu verantworten hat, geht im Gedränge unter. »Die Bürger nehmen sich das Hauptquartier - in guter Tradition, hier wird nicht gewartet«, sagt Roland Jahn und lacht. »Willkommen«, ruft der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und einstige DDR-Oppositionelle der Menge noch nach.

Erinnerungen werden wach: Vor 25 Jahren, am 15. Januar 1990, hatten aufgebrachte Demonstranten den riesigen Stasi-Komplex an der Berliner Normannenstraße gestürmt. Massenhaft wurden dadurch Akten vor der Vernichtung gerettet. Daran soll der Bürgertag erinnern. Und die Menschen strömen ohne offizielle Eröffnungsrede in das Haus 1, wo einst Stasi-Minister Erich Mielke residierte.

Das Mielke-Büro mit blauen Sesseln, Holzschreibtisch, gemusterten Gardinen und Telefonen ist weitgehend original erhalten. Der Raum gehört zu der Ausstellung, die die Arbeit des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) beleuchtet. Die Besuchermasse kommt nur langsam schiebend voran.

Dort, wo einst bis zu 7000 Stasi-Leute als »Schild und Schwert der SED« residierten, schauen sich viele Ältere, aber auch Familien und junge Pärchen um, hören Vorträge, sehen Filme, diskutieren. Bei Rundgängen bestaunt das Publikum das gigantische Archiv mit den Stasi-Akten.

Die Bundesbehörde zählt insgesamt 7000 Besucher. Roland Jahn freut sich: »Es war ein guter Tag für die Aufarbeitung.« Für ihn ist klar: Es gebe einen hohen Bedarf an Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur.

Eine Berliner Rentnerin hat soeben beantragt, einen Blick in Akten zu werfen, die die Stasi möglicherweise über sie angelegt hat. »Das wollte ich schon lange machen. Nun ist das ein guter Anlass«, sagt die 71-Jährige. Sie hoffe, dass es keine bösen Überraschungen gebe.

Was aus dem früher hermetisch abgeriegelten Betonkomplex mit etlichen leerstehenden Gebäuden werden soll, wird seit langem diskutiert. Roland Jahn, einst gegen seinen Willen auf Anweisung von Mielke in den Westen abgeschoben, will aus dem Gelände einen Campus für Demokratie entwickeln.

Nach Jahns Vorstellungen soll das ehemalige Offiziers-Casino zum Informationszentrum mit Bibliothek, Seminarräumen und Lesecafé werden. Damit würden Stasi-Museum und Archiv komplettiert. »Wir können an dem authentischen Ort aus der Vergangenheit für die Demokratie lernen«, sagt der 61-Jährige. Kritiker lehnen das Projekt am Ort der Täter ab.

Kontrovers geht es auch im Haus 22 bei einer Diskussion um die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde zu. Mit einer Abschaffung der Behörde könne eine Menge Geld gespart werden, findet Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Jahrelang seien Aufarbeitungsinitiativen zu kurz gekommen, sie müssten gestärkt werden. Die Hinterlassenschaft des MfS könnte das Bundesarchiv verwalten.

Ex-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe widerspricht. Eine Schließung der Behörde wäre das falsche Signal. Die Aufarbeitung sei noch nicht erledigt. Bis 2016 soll nun eine vom Bundestag eingesetzte Expertenkommission Vorschläge erarbeiten. dpa

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