Hochburg der kriminellen Leseratten

Das Statistische Jahrbuch der Hansestadt Bremen 2014 fördert Erstaunliches zutage

  • Alice Bachmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.
Als Stadtstaat steht Bremen unter den Bundesländern in Kriminalitätsstatistiken ziemlich weit oben. Neue Zahlen zeigen nun allerdings, dass die Hansestädter auch eifrige Bibliotheksnutzer sind.

Statistische Jahrbücher singen im Grunde das Hohelied der nackten Zahl. Die Fachwelt spricht von quantitativer Empirie, also dem rein mengenmäßigen Beschreiben von Dingen, Tatsachen und Zuständen. Das Pendant dazu, die qualitative Empirie, arbeitet mit dem Blick in die Tiefe, mit der Frage, was sich hinter den zusammengetragenen Zahlen verbirgt.

Für die Hansestadt an der Weser, die aus den beiden Kommunen Bremen und Bremerhaven besteht, ergibt sich beim Betrachten zweier Rubriken das widersprüchliche Szenario einer Hochburg krimineller Leseratten. Denn von den rund 635 000 Menschen des Landes Bremen standen etwa 2700 unter Bewährungs- und oder auch unter Führungsaufsicht. Wenn von der Gesamtbevölkerung die circa 85 000 Menschen abgezogen werden, die unter 15 oder über 80 Jahre alt waren, bleiben 550 000. Von den ganz jungen und sehr betagten Menschen sei vermutet, dass sie frei von Bewährungsaufsicht lebten. So gesehen ergibt sich, dass fast jeder 200ste Mensch in Bremen unter Bewährungs- beziehungsweise Führungsaufsicht stand. Dabei sind die etwa 700 Insassen der Bremer Justizvollzugsanstalten noch nicht einmal berücksichtigt.

Dieses dezent düstere Gemälde der hansestädtischen Gesellschaft lässt sich fröhlich aufhellen beim Nachschlagen unter der Rubrik Bibliotheken. Denn allein die Stadtbibliotheken der beiden Schwesterstädte Bremen und Bremerhaven hatten mehr als 75 000 Mitglieder. Dazu kamen noch gut 42 000 Wissbegierige, die einen Ausweis der Bremer Universitätsbibliothek besaßen. Die Stadtbibliotheken zählten rund 4,35 Millionen Ausleihen, die Universitätsbibliothek 2,38 Millionen. Diese Zahlen sind Balsam für das lokal-patriotische Gemüt.

Sie bedeuten nämlich, dass mehr als jeder sechste Mensch in Bremen einen Bibliotheksausweis hatte. Von der Gesamtbevölkerungszahl macht hier lediglich das Abziehen der unter Dreijährigen Sinn. Denn selbst Kinder frequentieren die Hallen der Bücher und anderer Medien recht fleißig. Das gilt außerdem für die sehr Hochbetagten. Übrigens zeigt eine Grafik, dass ab der Altersstufe 75 der Frauenanteil deutlich über dem der Männer liegt.

Wird die Zahl der Ausleihen durch die der Bevölkerung Bremens geteilt, so stellt sich heraus, dass jeder Mensch im kleinsten deutschen Bundesland im Durchschnitt zehn Mal etwas aus einer Bibliothek ausgeliehen hatte. Darunter waren über 868 000 Male Kinder- und Jugendbuchliteratur und rund 540 000 Male Exemplare aus dem Gebiet der »schönen Literatur«. Wie diese Mut machende Zahl zu deuten ist, liegt allerdings dann eher bei anderen Fakultäten als der qualitativen Empirie.

Das gilt auch für Noten. Die Stadtbibliotheken Bremens und Bremerhavens hielten zusammen über 23 000 Noten-Medien vor. Ausgeliehen wurden sie mehr als 31 000 Mal. Insgesamt verzeichneten die beiden Stadtbibliotheken über 2,2 Millionen Besuche in ihren zwölf Standorten.

Die Aussagekraft dieses kleinen Zahlenexkurses über die aktuelle Bremer Gesellschaft ist eher niedrig anzusetzen. Schließlich ist die Grundlage das Statistische Jahrbuch 2014, ein Werk, das sich dem Jahr 2013 widmet und auf Zahlen daraus beruht. Vielleicht also alles Schnee von gestern.

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