nd-aktuell.de / 21.01.2015 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

»Praktisch gibt es keine Alternative«

Dem Atommüllzwischenlager Brunsbüttel fehlt seit einem Gerichtsurteil vom Freitag die Betriebserlaubnis - welche Folgen hat das?

Reimar Paul
Schleswig-Holsteins Umweltminister Habeck (Grüne) sprach von einem »kleinen Erdbeben«, Bürgerinitiativen sehen die Entsorgungspolitik am Ende. Fragen und Antworten nach dem Leipziger Urteil.

Was hat das Bundesgericht genau entschieden?

Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) traf im Kern nur eine formale Entscheidung. Es lehnte die Beschwerde des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), das im Jahr 2003 die Genehmigung für das Zwischenlager erteilt hatte, auf Zulassung der Revision gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig vom Juni 2013 ab. Dieses Urteil ist damit rechtskräftig.

Was besagte es?

Das OVG kam nach fast zehnjährigem Rechtsstreit zum Schluss, dass das BfS die vom klagenden Ehepaar Dreckmann geltend gemachten Risiken bei der Genehmigung nicht im erforderlichen Umfang berücksichtigt hat. Unter anderem seien die Gefahren eines gezielten Absturzes eines Flugzeuges ausgeblendet worden. »Das Bundesamt hat es versäumt, die Folgen des gezielten Absturzes eines Airbus A 380 zu ermitteln, obwohl die hierfür erforderlichen Daten vorlagen«, hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung. Bei der Untersuchung der Folgen eines Angriffs mit panzerbrechenden Waffen sei zudem nur ein älterer Waffentyp berücksichtigt worden. Zur tatsächlichen Sicherheit des Zwischenlagers haben sich weder OVG noch BVG geäußert.

Was für Atommüll befindet sich in Brunsbüttel?

In dem überirdischen Zwischenlager stehen neun Castorbehälter mit hoch radioaktivem Müll. Es handelt sich um abgebrannte Brennelemente aus dem AKW Brunsbüttel, die irgendwann in ein Endlager gebracht werden sollen. Die über 600 teils durchgerosteten Fässer, die in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen sorgten, befinden sich dagegen in Kellern unter dem Atomkraftwerk.

Muss das Zwischenlager jetzt geräumt werden?

Theoretisch ja, denn eine Atomanlage darf ohne gültige atomrechtliche Genehmigung nicht betrieben werden. Praktisch gibt es aber keine Alternative. Die anderen Zwischenlager an den AKW-Standorten sind nur für Castoren aus den jeweiligen Reaktoren genehmigt. Landesumweltminister Robert Habeck hat eine sogenannte Duldung ausgesprochen. Nach dieser - rechtlich fragwürdigen - Verfügung dürfen die Castoren bis Anfang 2018 in Brunsbüttel liegen bleiben.

Und danach?

Vattenfall, der Betreiber des seit 2007 still liegenden AKW und des Zwischenlagers, muss eine neue Genehmigung beantragen. Dann gibt es ein neues Genehmigungsverfahren nach dem Atomrecht, das heißt mit Einwendungsmöglichkeiten für Bürger und einem öffentlichen Erörterungstermin. Erteilt das BfS eine neue Genehmigung, kann diese wiederum beklagt werden.

Was bedeutet das Urteil für andere Zwischenlager und den AKW-Betrieb?

Das ist noch unklar. Formell betrifft das Urteil erst einmal nur Brunsbüttel. Kläger können sich aber darauf berufen, weil die Standortzwischenlager baugleich sind und mehr oder weniger alle zur selben Zeit genehmigt wurden. Nach Ansicht von Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit, der die Brunsbüttel-Kläger vertritt, gilt die fehlerhafte Risikoermittlung für alle deutschen Zwischenlager. Das sagt auch der LINKEN-Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel. Er sieht den Entsorgungsnachweis für die neun noch laufenden AKW jetzt nicht mehr gegeben und verlangt deshalb deren unverzügliche Abschaltung.