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Podemos lässt historische Chance liegen

Alberto Garzón (IU) über die europaweite Bedeutung von SYRIZA und das Wahljahr auf der Iberischen Halbinsel

  • Lesedauer: 8 Min.

In Spanien wird 2015 neu gewählt, aber davor stehen die vorgezogenen Wahlen in Griechenland an. Wie schätzen Sie die Situation dort ein und inwieweit kann ein gutes Ergebnis für das Linksbündnis SYRIZA die spanische Linke beflügeln, sei es die Izquierda Unida (IU), die neue Partei Podemos oder die lokalen Wahlallianzen?

Es gibt definitiv eine klare Verbindung zwischen dem, was in Griechenland geschieht und dem, was in der Europäischen Union geschieht. Es ist für uns sehr wichtig, dass SYRIZA gewinnt, so wie es für SYRIZA wichtig ist, dass in anderen europäischen Ländern die Linke gewinnt. Wegen dieser Bedeutung hat die ökonomische Rechte, die europäische Oligarchie, eine Angstkampagne gegen die Möglichkeit gestartet, dass die Linke Regierungen bildet und Positionen gegen ihre Interessen ergreift. In dieser Hinsicht ist es sehr wichtig, die Einheit der Bevölkerung und der Linken gegen die Oligarchie zu organisieren. Dabei können wir von SYRIZA lernen, das bekanntlich eine Koalition aus unterschiedlichen linken Parteien ist. Das scheint mir die adäquate Formel, um die Transformation der Gesellschaft anzugehen. Das wird so in Griechenland diskutiert und das diskutieren wir so auch in Spanien, wo im Mai Regional- und Kommunalwahlen und dann im November die landesweiten Parlamentswahlen anstehen.

Die Wahlen in Spanien sind wegweisend: Im Mai treten bei den Kommunalwahlen in mehr als 100 Städten, darunter Barcelona, Valencia, Madrid, zivile Bündnisse von unten an. Ganemos (Wir gewinnen) Madrid, Guanyem Barcelona (Gewinnen wir Barcelona zurück) wollen nicht weniger als die Rathäuser übernehmen, statt ein paar Sitze in der Opposition zu ergattern. Wie sehen sie diese Allianzen? Schließt sich die IU ihnen auf lokaler Ebene an oder nicht?

Ja, wir haben vorgeschlagen, an diesen Volksallianzen teilzunehmen, sei es Ganemos Madrid, Guanyem Barcelona oder andere. Einfach weil es darum geht, die Städte zu gewinnen. Das erscheint uns fundamental, über die lokale Ebene damit zu beginnen, die Gesellschaft zu transformieren. Dessen ungeachtet ist es sicher, dass ein relevanter Akteur dabei nicht mitmacht: Podemos (deutsch: »Wir können«), die neue Partei aus dem Umfeld der Empörten-Bewegung M-15. Sie haben ausdrücklich erklärt, sich an keinem breiten Volksbündnis beteiligen zu wollen.

Sie nehmen mangels Personalstärke nicht an den lokalen Wahlen teil, war das Argument von Podemos, oder?

Wie auch immer. Fakt ist, sie stellen auch ihre Marke Podemos nicht auf lokaler Ebene zur Verfügung, machen ihr eigenes Ding und verweigern sich einer Volksallianz. Podemos will kein Volksbündnis. Dass das damit erschwert, wenn nicht gar verhindert wird, ist ihre Verantwortung. Podemos muss den Menschen erklären, warum sie diese historische Gelegenheit nicht nutzen.

Wechseln wir zur nationalen Ebene. Pedro Sánchez, der neue Chef der sozialdemokratischen PSOE, hat mehrfach kategorisch ausgeschlossen, nach den allgemeinen Wahlen im November mit der regierenden rechtskonservativen Volkspartei (PP) eine große Koalition einzugehen. Spekuliert er auf eine Mitte-links-Regierung unter PSOE-Führung mit Podemos oder gar der IU? Sind seine Aussagen glaubwürdig?

Sánchez hat keine Glaubwürdigkeit, überhaupt keine. Es ist vollkommen klar, dass er jetzt nicht von der Option einer großen Koalition spricht. Damit würde er definitiv Stimmen für die PSOE verlieren. Aber man muss sich doch nur anhören, was die intellektuellen Köpfe der PSOE verlauten lassen, sei es Ex-Ministerpräsident Felipe González (1982-1996) oder José Luis Rodríguez Zapatero (2004-2011), die reden schon jetzt von einer großen Koalition. Und sie machen auch klar, dass die PSOE nicht mit Podemos oder der IU zusammenarbeiten kann. Stand jetzt ist es sehr wahrscheinlich, dass es in Spanien erstmals auf eine große Koalition zwischen PSOE und PP hinausläuft. Wir werden zwar alles dafür tun, das zu verhindern und eine linke Regierung zu erreichen, aber danach sieht es im Moment nicht aus.

Die PSOE ist derzeit im Status der Wahlpropaganda und des Marketings, die linke Rhetorik darf man nicht für bare Münze nehmen. Die Praxis ist dagegen wie immer, die Politik der ökonomischen Rechten mitzutragen und zu stützen. Ich glaube der PSOE nicht, ich denke, dass auch ein Großteil der Bevölkerung der PSOE nicht glaubt, so wenig wie Pedro Sánchez, der 2011 eine Verfassungsänderung mit unterzeichnet hat, die die Vorfahrt der Märkte festschreibt. Das war nur durch die Stimmen der PSOE und von Sánchez möglich. (Mit der Veränderung des Verfassungsartikels 135 durch PP und PSOE im Schnellverfahren unter Ausschluss der anderen Parteien wurde die Priorität der Schuldenrückzahlung festgeschrieben, was Kürzungen im sozialen Sektor forciert, d. Red.)

Schaut man sich die Programme von Podemos und der IU an, gibt es eine große Übereinstimmung. In den Umfragen hat die »neue« Partei Podemos die alte IU inzwischen weit hinter sich gelassen, liegt gar vor PSOE und PP. Sind Sie neidisch?

Fakt ist, dass die Programme sich sehr ähnlich sind. Wir verteidigen diese Inhalte schon sehr lange, während Podemos nun mit ähnlichen Inhalten in den Wahlkampf zieht. Podemos schafft es, die Stimmen der mit dem System unzufriedenen Bürger zu kanalisieren. Podemos ist der Ausdruck der Probleme der Gesellschaft, ein Ausdruck der ökonomischen Probleme, ein Ausdruck der hohen Arbeitslosigkeit. Aber die Antwort auf diese Probleme ist links. Podemos ist das Symptom der Krise, die Linke ist die Lösung. Kurzum: Ich habe keinen Neid auf Podemos, Podemos kümmert mich nicht. Was mir Sorgen macht, ist die Situation in Spanien, die Situation der Menschen, für die ich denke, dass die Linke die besseren Lösungsansätze hat. Und ich mache mir Sorgen, dass die Linke nicht so stark zulegt, wie es nötig wäre. Podemos ist ein Konkurrent, aber eines ist klar: Die Hauptfeinde sind PSOE und PP, die für die neoliberale Ausrichtung des Staates stehen. In diesem Sinn ist das Ziel sehr klar: die Bürger davon zu überzeugen, dass die Linke die besten Lösungen für das Land hat. Podemos siedelt sich weder links noch rechts an, hat eine kalkuliert ambivalente Ausrichtung, um möglichst viele unzufriedene Bürger anzuziehen, auch welche aus dem rechten Spektrum.

Was macht der Konvergenzprozess zwischen IU und Podemos? Es gab doch Gespräche über eine Zusammenarbeit.

Bei der IU wurde eine Konvergenz mit Podemos wohlwollend betrachtet. Podemos, die im Kern eine ziemlich hierarchische Struktur um ihre Galionsfigur Pablo Iglesias hat, hat entschieden, kein Volksbündnis zu wollen und in diesem Kontext dann alle Gespräche mit der IU und darüber hinaus abgebrochen. Das gilt mit Ausnahme von Guanyem Barcelona, wo noch Gespräche laufen. Und das hat damit zu tun, dass Guanyem Barcelona mit Ada Colau eine Symbolfigur an ihrer Spitze hat, der sich Podemos schlecht verweigern kann, ohne Stimmen einzubüßen. Abgesehen von Barcelona hat Podemos entschieden, sich nicht den breiten Bündnissen anzuschließen. Das ist zumindest der Stand jetzt. Wir halten das für einen historischen Fehler. Es ist jetzt eine historische Gelegenheit, sich breit aufzustellen, sicher nicht die letzte, aber doch eine wichtige Gelegenheit, die nun von Podemos nicht wahrgenommen wird. Wir glauben aus Prinzip an die Idee einer Konvergenz einer Volksallianz, nicht aus wahltaktischen Gründen.

Das bedeutet, dass Podemos und die IU bei den Wahlen im November als Gegner antreten?

Ja, es wird eine Konkurrenz um das Wählerpotenzial geben. Das ist besonders bedauerlich, weil das spanische Wahlrecht zulasten kleiner Parteien geht. Deswegen wäre ein konvergentes Wahlbündnis so wichtig gewesen. Sicher gibt es Differenzen zwischen Podemos und IU, aber in den zentralen Punkten gibt es Übereinstimmung, die es zu nutzen gegolten hätte. Aber wir müssen feststellen: Podemos hat eine andere Strategie, sie wollen allein antreten.

Wie sehen Sie den Prozess einer Verfassunggebenden Versammlung, den Podemos anstoßen will - gewissermaßen eine zweite transición (Übergangsperiode) nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975?

Die IU sieht ebenso die Verfassung von 1978 als gescheitert an. Weder das Recht auf Arbeit noch das Recht auf Wohnung wird darin respektiert, wie wir in der Krise schmerzlich feststellen müssen. Wir brauchen neue politische Institutionen, die viel partizipativer angelegt sind, also viel mehr die normalen Bürger einbeziehen, statt nur alle paar Jahre ihre Stimmen abgeben zu dürfen. Zum Beispiel muss es mehr Referendumsmöglichkeiten und andere Möglichkeiten für Bürgerinitiativen geben. Mit der alten Verfassung ist das nicht machbar, eine Reform reicht nicht, also brauchen wir eine neue. Diese sollte implizieren, dass die Menschen sich politisieren, weil ihnen Raum dafür gegeben wird, sich einzubringen. Das Problem ist: Es ist bereits ein Prozess zur Veränderung der Verfassung im Gange: einer von rechts, der Standards senkt, neoliberale Politik festschreibt, wie mit dem Artikel 135 geschehen. Auch der Abbau der Arbeitsrechte passt in diesen Kontext. Ein Prozess der von oben gegen die Menschen von unten.

Podemos ist für das Recht der Selbstbestimmung Autonomer Gemeinschaften wie dem Baskenland oder Katalonien. Wie steht die IU dazu?

Die IU sieht das auch so. Alle sollten das Recht zu entscheiden haben - auch über Unabhängigkeit. Aber unsere Haltung ist klar: Wir sind gegen die Abspaltung von Territorien von Spanien. Wir sind für einen föderalen Staat mit weitgehenden Rechten für die Autonomen Gemeinschaften inklusive des Rechts auf Selbstbestimmung. Die IU hat einen Fokus auf der Klasse, nicht auf der Nation. Das sind zwar sich ergänzende Faktoren, aber wir präferieren es, für die Armen in Andalusien, für die Armen in Katalonien zu kämpfen statt für die Unabhängigkeit von Regionen.

Könnte eine neue, föderale Verfassung dem Separatismus den Wind aus den Segeln nehmen?

Wir denken in der Tat, dass eine wirklich föderale Republik die optimale Lösung wäre. Sie würde uns erlauben, die nationalen Identitäten zu respektieren und die soziale Frage anzugehen. In einer solidarischen, föderalen Republik sehen wir den Ansatz, den Zentralismus auf der einen und den Separatismus auf der anderen Seite zu überwinden, die derzeit Spanien prägen.

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