Soap statt Tragödie

»Nathan der Weise« am Theater an der Parkaue

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gibt Themen, die veralten nicht. Eine Zeit lang scheint es so, als würden ihre Botschaften offene Türen einrennen, als wären sie auf selbstverständliche Weise Teil des kollektiven Selbstverständnisses geworden. Aber das trügt, wie wir gerade bemerken müssen.

Wer hätte vermutet, dass es in Europa noch zu Morden aus religiösem Hass kommen würde? Die Geschichte von Nathan dem Weisen spielt im Jerusalem des späten Mittelalters, wo Juden, Christen und Moslems eher unfriedlich nebeneinander existierten. Bei einem Brandanschlag waren Nathans Frau und seine Kinder getötet worden - von Christen bei einem Judenpogrom.

Kay Wuschek hatte »Nathan der Weise« auf den Spielplan des Berliner Kinder- und Jugendtheaters »An der Parkaue« gehoben, als noch nicht zu ahnen war, dass es aus schlimmem Anlass zum Stück der Stunde werden würde. Toleranz statt Fanatismus, so lautet Lessings Botschaft. Wir alle suchen nur immer die Wahrheit. Sie zu finden, ist unser Leben zu kurz. Wer aber dennoch vorgibt, sie gefunden zu haben und alle anderen Ansichten über das Leben zur gottlosen Lüge erklärt - der ist selbst der größte Feind jener Wahrheit, die nach einem menschlichen Maß strebt. Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, sei skeptisch gegen alle Heilsversprechen!, so lautet die Aufklärerbotschaft. Die Ideologen aller Zeiten sammeln die Gläubigen um sich, um mit ihnen ihre Kreuzzüge zu führen. Lauter Verführte, die zu Tätern wurden. Dagegen hilft nur Zweifel, der den Verstand bildet.

Klingt das nicht auf unheilvolle Weise gegenwärtig? Doch das christlich geprägte Abendland muss hier gar nicht so tun, als hätte es mit dem heiligen Krieg nichts zu schaffen. Die Zeit der Kreuzzüge und Hexenverbrennungen sitzt noch tief in unserem kollektiven Bewusstsein - aus diesem heraus schuf auch Lessing seinen »Nathan der Weise«.

Warum ist Nathan, dieser eher durchschnittliche jüdische Händler, ein Weiser? Weil er auf Rache verzichtet und trotz Zorn und Trauer ein Waisenkind zu sich nimmt, Recha, keine Jüdin. Das Stück beginnt, als Nathan von einer seiner Reisen zurückkehrt und erfährt, dass auch Recha beinahe in seinem Haus verbrannt wäre - hätte nicht ein junger christlicher Tempelherr sie im letzten Moment gerettet.

Welche Art Nathan zeigt Regisseur Kay Wuschek nun seinem zumeist jugendlich-multikulturellen Schüler-Publikum? Er lässt seine Bühnen- und Kostümbildnerin Magdalena Musial die Bühnenrück- und -seitenwände mit Fototapeten tapezieren, die globale Mobilität demonstrieren. Das da, sinniert Nathan, ist Griechenland, das natürlich New York, dieses Foto zeigt Ost-Berlin, als es dies noch gab. In der Mitte der schrottig wirkenden Bühne ein Kiosk (in dem nie etwas verkauft wird) mit Rummelplatzbeleuchtung, wahlweise rot, gelb oder blau blinkend; wir sind, das ist wohl die Regieabsicht, nah am sozialen Brennpunkt, Berlin-Neukölln vielleicht.

Jakob Krazes Nathan ist ein überaus durchschnittlicher Typ, durchaus Geschäftemacher mit Anzug und Sonnenbrille, der zur Vorbereitung auf ein Treffen mit Sultan Saladin erst einmal einen tiefen Zug mit der Nase von jenem weißen Pulver nehmen muss, das kurzfristig Klarheit und Energie verspricht. Aber die gehen ins Leere, so wirkt dieser Nathan schließlich wie aus einer Vorabendserie hierher versetzt. Da hilft alles Koksen nicht, eine innere Spannung stellt sich nicht her.

Auch die anderen Schauspieler scheinen eher auf Klamotte programmiert, aber vielleicht resultiert dieser Eindruck auch aus Wuscheks nicht eben glücklicher Aktualisierungsabsicht, die die Figuren und Konflikte eher freihändig handhabt - und dabei weder einen eigenen Rhythmus, noch eine irgendwie überzeugende Bildsprache findet. Der doch so wichtige Text gerät darüber gänzlich in den Hintergrund.

So fragt man sich, was spielen Franziska Ritter als Schwester des Sultans Saladin (trashig: Denis Pöpping), Franziska Krol als Recha und Birgit Berthold als deren Gesellschafterin hier eigentlich? Aber auch um die Männer des Stücks ist es kaum besser bestellt. Zwar deutet Jonas Lauenstein (neu aus Bautzen ins Ensemble gekommen) als junger Tempelherr sein großes Talent an, mehr aber kann er hier nicht ausrichten. Bei Thomas Pasieka als Derwisch, Konstantin Bez als Mann vom Kiosk und Andrej von Sallwitz als Klosterbruder aber sind wir schon wieder mitten drin in der Beliebigkeit der Nathan-Soap.

Was auf unheilvolle Weise alle in diesem halbkriminellen Milieu verbindet: Bei der kleinsten Provokation ziehen sie sofort wie Westernhelden ihre Pistolen. Wuscheks Hang zur simplifizierenden Aktualisierung führt statt näher heran immer weiter weg von Lessing und seiner drängenden Frage, wie man es hält mit den Lasten, die dem Mängelwesen Mensch hier im Übermaß aufgebürdet werden. Kann Schmerz, statt zu Rache zu führen, auch eine neue Art von Humanität begründen?

Da sind wir bei der aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammenden »Ringparabel«, die Lessing in sein Stück aufnahm. Die gefürchtete Frage des Sultans Saladin, welche Religion die wahre sei, macht den reisenden Geschäftsmann Nathan erfinderisch. Warum nur eine? So wird er aus Not vor dem Sultan zum Geschichtenerzähler und berichtet von jenem Vater, der den seit Generationen in seiner Familie vererbten Ring, der seinen Träger »vor Gott und den Menschen angenehm machen soll«, nicht nur einem, sondern allen seine drei Söhnen hinterlassen will. Daher gibt es plötzlich drei Ringe, ein Original und zwei Kopien. Doch den Nachkommenden scheinen sie alle gleich viel wert, da sie ihnen doch der Vater vererbte.

Ein großes Thema, eine optimistische Tragödie. Als solche hätte man sie hier am Theater an der Parkaue durchaus ernst nehmen können, nein müssen.

Nächste Vorstellungen: 21. bis 24.1.

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