Spießbraten unter der Kanzel

In Schweinfurt wird eine Kirche zum Gasthaus

  • Lesedauer: 2 Min.
Wo sonst der Pfarrer predigt und der Kirchenchor singt, stehen Esstische und Stühle: Die Schweinfurter St.-Johannis-Kirche wurde zur ersten Vesperkirche Bayerns umgestaltet - auf Zeit.

Es erscheint auf den ersten Blick eigentümlich, was sich am vergangenen Sonntag in einer Schweinfurter Kirche abspielte: Dort, wo wenige Minuten zuvor noch gebetet wurde, sitzen Menschen an gedeckten Tischen und essen Spießbraten mit Klößen oder Tortellini. Die Essplätze, die für hundert Personen ausreichen, sind mit Blumen dekoriert und verwandeln die gotische St.-Johannis-Kirche in einen Gastraum. Seit Sonntag ist St. Johannis die erste Vesperkirche Bayerns. Hier wird es täglich bis zum 8. Februar gegen einen kleinen Betrag ein warmes Essen sowie Kaffee und Kuchen geben. In Baden-Württemberg ist Vesperkirche kein Fremdwort mehr, dort gibt es bereits mehr als 20 Kirchen, die einmal im Jahr ein solches Angebot machen. Der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel, hörte vor einigen Jahren in Nürnberg zum ersten Mal von dem Projekt, »das damals aber im Sand verlaufen ist«. Umso mehr bewundere er die Schweinfurter, die nach langen Vorbereitungen ihre Eröffnung geschafft haben, sagt Bammessel.

Diese Meinung teilt auch die ehrenamtliche Helferin Erna Grünwald. »Die erste Vesperkirche Bayerns ist in Franken! Da sind wir stolz!«, sagt die 71-Jährige. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Friedrich Senft bereitet sie den Kuchen für den Nachtisch vor. Für den fast 80-Jährigen, der die St.-Johannis-Kirche seine Heimat nennt, ist das Mithelfen selbstverständlich. »Ich hoffe, es wird Tages- oder sogar Bayerngespräch.« Rund 180 ehrenamtliche Helfer sind für die Vesperkirche im Einsatz.

Für einen symbolischen Beitrag von 1,50 Euro bekommt man neben einem Hauptgericht eine Suppe, ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee. Allein dadurch können die Unkosten von etwa 90 000 Euro nicht gedeckt werden, die Vesperkirche finanziert sich vor allem durch Spenden.

Vesperkirche heißt aber nicht nur, ein günstiges warmes Essen zu bekommen, sondern auch einen Raum zu schaffen, in dem der zwischenmenschliche Austausch gefördert wird. Diakonie-Präsident Bammessel formuliert das so: »Vesperkirche ist eine wunderbare Idee, um in der kalten Jahreszeit für einen Ort der Herzenswärme zu sorgen. Es ist auch ein Gastraum für Leute, die sonst nicht so oft Gast sein dürfen.« Dieses Konzept scheint aufzugehen. Ähnlich wie in einem Restaurant führt ein Helfer an einen der großen Tische. Dann wird das Essen bestellt. Hilmar und Ilse Hartmann haben bereits vor 48 Jahren in der Schweinfurter Kirche geheiratet. Zur Eröffnung sind sie gekommen, um mit neuen und alten Bekanntschaften ins Gespräch zu kommen.

Zusätzlich zum warmen Essen werden bis zum 8. Februar vom Friseur über die Kinderbetreuung bis zur Fußpflege verschiedene Dienstleistungen an abwechselnden Tagen angeboten. dpa/nd

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal