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Basar der europäischen Werte

Martin Leidenfrost über ein EU-freundliches Wahlergebnis in Moldova, das zu schön ist, um wahr zu sein

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich nenne nicht seinen Namen und seine Nationalität, ich erwähne nicht sein Aussehen und seine Position. Sein Büro könnte ich getrost beschreiben, von dem Modell gibt es Tausende in Brüssel. Belgiens guter alter erneuerbarer Regen läuft über die Scheiben seines Fensters, in etwas dickeren Fäden als sonst. Ein Experte für Östliche Partnerschaft in den europäischen Institutionen redet mit mir, off the record.

Ich komme in ratlosem Zorn. Unser Thema ist das bukolische Weinland, das der Experte wegen seiner »balkan-postsowjetischen Verbindung« mag und das mir mit seiner romanisch-slawischen Spezialmischung zum Sehnsuchtsort wurde. Moldova wählte am 30. November. Das pro-europäische Lager siegte knapp über pro­russische Parteien. Mit welchen Methoden, danach fragte schon keiner mehr.

Der Beamte nickt bewegt, er kann die Manipulationen der pro­europäischen Machthaber besser aufzählen als ich: Erstens wurde die hoch populäre prorussische Partei »Patria« von der Wahl ausgeschlossen, drei Tage vor der Wahl. Zweitens, »fast noch schlimmer«, wurde die Phantompartei der »Reformkommunisten« zugelassen, für viele Wähler der oppositionellen Kommunisten ununterscheidbar von ihrer Partei. Drittens wurden für die zahllosen Gastarbeiter in Russland viel zu wenige Wahlzellen aufgemacht, »in Italien hingegen an jeder Ecke eine.« Dazu noch zwei Morde im Umfeld der Wahl, füge ich hinzu. Meine Haltung ist hart: Die EU, die alle Welt über die »Herrschaft des Rechts« belehrt, darf solche Wahlen nicht anerkennen.

»Ja«, antwortet er, »diese Wahlen hätten nicht anerkannt werden müssen.« Die EU habe sich immerhin mit Gratulationen zurückgehalten. »Aber nach allem, was Putin im letzten Jahr getan hat, habe ich ein gewisses Verständnis für die zurückhaltende Position der EU. Denn neben Werten vertritt die EU auch politische Interessen.« Das Ringen um die EU-Assoziierung der Ukraine führte zu Majdan und Krieg, Armenien unterschrieb die EU-Assoziierung nicht und schwenkte zu Moskaus Eurasischer Union. Also entschied die EU unter Führung Deutschlands: Das geht nicht, dass wir Moldova auch noch verlieren.

Aus den Schilderungen des Experten entsteht bei mir das Bild eines Basars, auf dem 28 Mitgliedsstaaten europäische Werte dealen. Da fordern Schweden und Holländer absolute Prinzipientreue, solange ihr Geschäft nicht berührt ist. In Aserbaidschan sehen einige EU-Länder schon mal großzügig über Menschenrechtsverletzungen hinweg - Business. Rumänen wiederum wollen ihre moldawischen Schützlinge überhaupt nicht kritisieren. In Moldova selbst wird weniger abstrakt gehandelt. Da werden nicht »local statements« der EU-Botschafter gegeneinander aufgerechnet, da lässt sich ein ehemaliger Staatspräsident vom führenden »halbkriminellen« Oligarchen, wohl mit finanzieller Unterstützung, zum Seitenwechsel überreden. »Im Alter von 72 Jahren!« In Momenten wie diesen kann der Experte Moldova selbst nicht fassen.

Nicht zum ersten Mal sage ich mir, wie glücklich unser Staatenbund sein muss, solche Beamte zu haben. Der Mann ist hochkompetent, engagiert, fair, er spricht Russisch. Einige Male muss ich schlucken, so entwaffnend ist seine Ehrlichkeit. Etwa als ich frage: »Die fünf Prozent, welche die Phantompartei bei der Wahl erhielt, ein wenig unterhalb der Sechs-Prozent-Hürde gelegen und so maximal zum Schaden der Opposition - ist das nicht zu schön, um wahr zu sein? Halten Sie für möglich, dass die Regierung bei der Auszählung betrogen hat?« Er kann auch das nicht ausschließen. Oder wenn ich die Prozente aller Parteien zusammenrechne und zu dem Schluss komme, dass es in Moldova keine Mehrheit für Europa gibt. Darauf antwortet er nüchtern: »Nein, die gibt es derzeit nicht.« Oder: Wirft Russland der EU nicht zu Recht vor, mit doppelten Maßstäben zu messen? Er knapp: »Ist ja so.«

Bevor ich in den Brüsseler Regen zurückgehe, will der Experte auch Lob für die moldauische Regierung angebracht haben: »Die Moldauer kamen immer perfekt vorbereitet in die Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen, anders als die Ukrainer. Und sie haben geliefert. Unter anderem auch das Antidiskriminierungsgesetz, das für die Visafreiheit mit der EU wichtig war. Letztere läuft sehr gut, es gibt sehr wenige Verletzungen.« So also hat Europa in Moldova gesiegt. Mancher spürt Unbehagen, das immerhin. »Wir müssen mit den Leuten arbeiten, die da sind. Es gibt keine anderen.«

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