»Heute ist ein historischer Tag«

Wahlbeobachtungen in Griechenland / Auch viele Parteichefs tippten auf SYRIZA-Sieg

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 4 Min.
Es waren die Parteichefs Griechenlands, die am Sonntag schon früh zur Wahlurne schritten; das Volk ließ sich Zeit. Vom Wechsel hin zur linken SYRIZA waren auch die meisten Politprofis überzeugt.

Das Wetter ist durchwachsen an diesem Wahltag. In der griechischen Hauptstadt Athen wechseln sich graue Wolken mit sonnigen Momenten ab, während die ersten der landesweit 9 808 760 Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. Einer von ihnen ist der höchstwahrscheinlich abtretende Ministerpräsident Antonis Samaras. »Heute entscheiden wir, ob es vorwärts geht, mit Kraft, Sicherheit und Entschlossenheit, oder ob wir uns in Abenteuer stürzen«, erklärt der Chef der Nea Dimokratia, unmittelbar nachdem er bereits kurz vor halb acht Uhr im Hafenstädtchen Pylos im Süden der Peloponnes seine Stimme abgegeben hatte.

Nur wenige »normale« Wähler sind an diesem Sonntag bereits zu früher Stunde unterwegs. Anders die Parteivorsitzenden. Die Chefs der wichtigsten Parteien haben das Land bei ihrer Stimmabgabe gleichsam unter sich aufgeteilt. Der griechische Bürger müsse »mit seiner Stimme den Befehl dafür geben, dass Griechenland vorwärts schreitet, fortschrittlich und mit einer Gesellschaft, die sich aufgerichtet hat«, gibt der DIMAR-Vorsitzende Fotis Kouvelis um 9.30 Uhr den Wählern auf den Weg. »Ich wünsche dem griechischen Volk, dass seine Wahl zur Verbesserung und nicht zur Verschlechterung der Situation führt, auch für seine Kinder«, äußert sich PASOK-Chef Evangelos Venizelos in Thessaloniki gegen 10.15 Uhr.

Der ehemalige Starjournalist Stavros Theodorakis hat sich ins ferne Kreta begeben. »Es sieht so aus, als hätte sich das Land zum Wechsel entschlossen, was die stärkste Partei angeht«, vermutet der Chef der sich in der politischen Mitte ansiedelnden Partei To Potami (Der Fluss) nach der Stimmabgabe in der Hafenstadt Chania. Für seine Partei wünscht er sich den dritten Platz hinter SYRIZA und Nea Dimokratia.

Die öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich natürlich auf den voraussichtlichen Wahlsieger und so warten um 11 Uhr bereits Hunderte Journalisten auf den unbestrittenen Star des Tages. Ausnahmsweise pünktlich und wie immer ohne Krawatte trifft Alexis Tsipras ein. Noch bevor der Vorsitzende des in den Umfragen deutlich führenden Linksbündnisses seine Stimme abgibt, wendet er sich an die Öffentlichkeit. »Heute ist das griechische Volk aufgerufen, entschlossen den verbleibenden Schritt zu machen, damit die Hoffnung zurückkehrt, die Angst zu Ende geht, Demokratie und Würde in unser Land zurückkehren«, diktiert er den aus aller Welt angereisten Journalisten zunächst auf Griechisch und dann auf Englisch ins Mikrofon. Heute entscheide sich, so Tsipras, ob »das Land ab morgen in harten Verhandlungen einen gleichberechtigten Wiedereintritt ins europäische Geschehen einfordert«. Und der designierte Wahlsieger setzt hinzu: »Ich bin optimistisch, heute ist ein historischer Tag.«

Gegen Mittag hat auch der Strom der »Normalbürger« zu den Urnen beträchtlich an Stärke gewonnen. Der Hof der 5. Allgemeinen Oberschule im Athener Stadtteil Peristeri liegt in strahlendem Sonnenschein. Der Wahl-O-Mat habe eine hohe Übereinstimmung seiner eigenen Ansichten mit der des kleinen Linksbündnisses ANTARSYA ergeben, erzählt Vangelis. Der Athener Anwalt wird trotzdem die für ihn weiter »rechts« stehende Linkspartei SYRIZA wählen, da ANTARSYA aller Voraussicht nach an der Drei-Prozent-Hürde scheitern dürfte. Angst, die Partei von Tsipras könne Griechenland aus dem Euro treiben, habe er dabei nicht.

Am frühen Nachmittag trifft Dimitris Avramopoulos in der griechischen Hauptstadt ein. Der EU-Kommissar für Immigration, Inneres und Unionsbürgerschaft ist mal eben von Brüssel nach Athen gejettet und kehrt unmittelbar nach der Stimmabgabe nach Belgien zurück. Seine Reise wird vom Staat bezahlt, ein Privileg, das normale Auslandsgriechen nicht genießen. Die jenseits der Grenzen lebenden Bürger haben nicht die Möglichkeit, per Briefwahl oder im Konsulat zu wählen. So werden vermutlich die meisten der Millionen Auslandsgriechen auf ihr Stimmrecht verzichten. Der Wahlpflicht unterliegen sie im Gegensatz zu den »Einheimischen« nämlich nicht.

Vor der großen Krise waren Auslandsgriechen massenhaft eingeflogen worden, bezahlt von den Parteien, die sich dabei über Umwege oftmals aus Steuermittel bedienten. Diesmal hatten 60plus-Mitglieder und Anhänger von SYRIZA die Aktion »A flight for democracy« ins Leben gerufen. Damit sollte Geld gesammelt werden, um so vielen (jungen) Griechen wie möglich die Reise in die Heimat und die Teilnahme an den Wahlen zu ermöglichen.

Als die Sonne am Sonntag zu sinken beginnt, haben die meisten gewählt. Nun ist es Zeit, in Gesellschaft von Familie und Freunden vor dem Fernseher zu sitzen, um die ersten Hochrechnungen abzuwarten.

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