nd-aktuell.de / 28.01.2015 / Politik / Seite 3

Gedenken ist auch Mahnung zur Wachsamkeit

Europa erinnert an Auschwitz-Befreiung vor 70 Jahren / Russlands Präsident Putin warnt vor Geschichtsklitterung

Olaf Standke
Mit Gedenkfeiern und anderen Veranstaltungen ist am Dienstag nicht nur in Auschwitz an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers vor 70 Jahren erinnert worden.

Als am Dienstagmorgen Auschwitz-Überlebende vor der sogenannten Todeswand im Stammlager, an der im Zweiten Weltkrieg Tausende Menschen erschossen worden sind, Blumen niederlegten und Kerzen entzündeten, verurteilte Frankreichs Präsident François Hollande am Schoah-Mahnmal in Paris jeglichen Antisemitismus als »Plage«. Sie ist auch 70 Jahre nach der Befreiung des größten Vernichtungslagers der Weltgeschichte virulent. So hat sich etwa die Zahl antisemitischer Taten in Frankreich im Vorjahr verdoppelt. Bei gewaltsamen Angriffen habe es zwischen 2013 und 2014 sogar einen Zuwachs von 130 Prozent gegeben, erklärte der jüdische Dachverband Crif am Dienstag in Paris.

Präsident Hollande nannte das eine »unerträgliche Realität« und kündigte für Ende Februar einen Plan zur Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus an. In London will die Regierung 50 Millionen Pfund (69 Millionen Euro) für ein Holocaust-Denkmal und ein Bildungszentrum bereitstellen. Gedenken sei auch deshalb wichtig, weil es die Menschen darin erinnere, wohin Antisemitismus, Vorurteile und Hass führten, so Premierminister David Cameron.

Auch das vierte Welt-Holocaust-Forum in Prag warnte gestern nachdrücklich vor Judenfeindlichkeit und Extremismus. Wo immer Antisemitismus und Rassismus aufkämen, so EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, müsse man sich dem entgegenstellen. Das geschieht im Ungarn von Victor Orban aus Sicht vieler Kritiker bisher viel zu wenig. Nun hat der Regierungschef bei einer Gedenkfeier auf einem jüdischen Friedhof die Komplizenschaft seines Landes beim Holocaust anerkannt. »Wir waren ohne Liebe und unentschlossen, als wir hätten helfen sollen.« Hunderttausende Juden waren mit Hilfe von Landsleuten im Polizeidienst von den Nazis nach Auschwitz deportiert worden. Etwa 430 000 der über 1,1 Millionen Menschen, die in dem Vernichtungslager starben, kamen aus Ungarn.

Während eines Besuches im Moskauer »Jüdischen Museum und Zentrum der Toleranz« mahnte Russlands Präsident Wladimir Putin, es sei die allgemeine Pflicht und wichtigste Aufgabe der Weltgemeinschaft, dass sich ein derartiges Verbrechen nicht wiederholen könne. Putin war nicht zum Gedenken nach Polen gereist, weil er anders als vor zehn Jahren nicht als Ehrengast eingeladen worden war.

»Jegliche Versuche, die Ereignisse zu vertuschen und zu verzerren sowie die Geschichte umzuschreiben, sind inakzeptabel und unmoralisch«, betonte Putin, der während der Zeremonie mit Russlands Oberrabbiner Berel Lazar schwarze Kerzen entzündete. Besonders hob er den »bedeutenden Anteil« jüdischer Sowjetbürger am Sieg über den Faschismus hervor. Über eine halbe Million Juden dienten in der Roten Armee, 40 000 gehörten Einheiten der Partisanen an; fast 200 000 sind gefallen. Russlands Staatschef schlug aber auch den Bogen in die Gegenwart und forderte eine Rückbesinnung auf internationale Zusammenarbeit und warnte vor der »Gefahr eines Strebens nach Weltherrschaft«.

Bei einer Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer der Konzentrationslager am Gebäude des Europarates in Straßburg erklärte der russische Duma-Vorsitzende Alexej Naryschkin noch einmal, wer Auschwitz befreit habe: »Schulter an Schulter Belorussen und Russen, Turkmenen und Ukrainer, Aserbaidschaner, Armenier und Vertreter anderer Völker der Sowjetunion.« In der Vorwoche hatte Polens Außenminister Grzegorz Schetyna nicht nur in Russland für Empörung gesorgt, als er verkündete, dass Auschwitz von »Ukrainern« befreit worden sei. Moskau warf ihm »antirussische Hysterie« und eine »Verhöhnung der Geschichte« vor.